Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sammelte hastig die Listen zusammen. Wie zufällig schob er die jüngste aus dem Archiv des Domkapitels in seinen Stapel. Hoffentlich merkte der Pater nicht, dass eine fehlte. Er brauchte dieses Blatt unbedingt. Es war der Schlüssel, es erklärte alles. Er versuchte, zu lächeln. Ob der Priester seine zitternden Hände bemerkt hatte? Sein ungeschicktes Zusammenschieben der Dokumente? »Noch einmal herzlichen Dank, werter Pater. Ich werde dem Bischof berichten, wie hervorragend Ihr mir helfen konntet.«
»Geht in Frieden, junger Herr. Wenn Ihr wieder eine Auskunft benötigt, werde ich Euch jederzeit mit meinem bescheidenen Wissen zur Verfügung stehen. Es ist mir eine Freude und ein Bedürfnis, meinen Mitmenschen helfen zu können. Ich versuche nur, dem Auftrag unseres Herrn nachzukommen. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.«
Ludolf verneigte sich noch vor dem Kustos und war schnell durch die Tür entschwunden. Caspar von Ilse blieb verwirrt zurück.
Bitte um Versammlung
Eine goldene Stadt. So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen.«
Agnes konnte sich nicht sattsehen. Der strahlende Glanz, die meisterhafte Gestaltung, die kunstvollen Figuren. Dieser Anblick war einfach überwältigend. Man fühlte sich Gott gleich viel näher.
»Et civitatem sanctam Hierusalem novam vidi descendentem de caelo a Deo paratam sicut sponsam ornatam viro suo
34 «, zitierte Bischof Otto.
»Ja. Und die Stadt war lauteres Gold gleich klarem Glas.«
Sie standen im Dom mitten im Chor vor einem meisterhaft geschnitzten Reliquienschrein, der ganz und gar vergoldet war. Er war einem Haus, einem Palast nachempfunden. Der Deckel war fast wie ein Dach gestaltet. An den Längs- und den Kopfseiten zog sich eine zweireihige Arkade entlang, die mit vierzig schmückenden Statuetten besetzt war. Auffällig war in der Mitte der Längsseite die Darstellung der Marienkrönung. Die weiteren Figuren waren offensichtlich die Apostel, Heiligen, Bischöfe und anderen Geistlichen, darunter auch zwei weibliche Gestalten.
»Wer ist dort dargestellt?«, wollte Agnes wissen.
»Neben den Aposteln seht Ihr Persönlichkeiten, die alle mit der Kirche hier in Minden in engem Zusammenhang stehen. Natürlich der heilige Petrus, dem dieser Dom geweiht ist. Dann einige Märtyrer. Leider kenne ich nicht alle dargestellten Personen.«
»Aber über allen thront Maria«, ergänzte die junge Frau. Dann wandte sie sich an den Geistlichen: »Euer Hochwürden?«
»Was ist, mein Kind?«
»Danke, dass Ihr mir geholfen habt. Ich wusste wirklich nicht mehr ein noch aus. Aber jetzt fühle ich mich wie befreit.«
»Dafür bin ich da. Aber bitte, sprecht das öffentlich nur an, wenn es unbedingt nötig ist. Das müsst Ihr mir versprechen. Und bitte erwähnt keinesfalls die Umstände, unter denen Ihr es erfahren habt. Ihr sollt nicht lügen, lasst einfach etwas aus!«
Das versprach sie gern.
Plötzlich hörten die beiden schnelle, laute Schritte herankommen. Sie drehten sich entrüstet um; wie konnte es jemand wagen, hier in Gottes Haus nur so laut sein?
Ludolf stürmte auf sie zu.
Agnes ging ihm empört entgegen und fuchtelte mit den Armen, um ihm zu bedeuten, Rücksicht auf diesen geweihten Ort zu nehmen und die Andacht der Besucher nicht zu stören. Er achtete jedoch überhaupt nicht auf ihr Winken und eilte weiter. Sie sah nicht, wie blass und verstört er war.
»Pscht, du Vandale! Kannst du nicht ein wenig leiser sein?«, fauchte sie ihn an.
Aber er ignorierte sie völlig und verneigte sich vor dem Bischof. Seine Stimme zitterte. »Ehrwürden, ich ... Ich bitte Euch um ein kurzes Gespräch. Es ist ... sehr, sehr wichtig!«
»Ganz ruhig. Ihr seht aus, als sei der Teufel hinter Euch her.«
»So ähnlich.«
Agnes riss ihn am Arm herum. Sie war nun noch ärgerlicher, weil er sie völlig übergangen hatte. »Was ist los mit dir? Du kannst doch nicht ...!« Erst jetzt bemerkte sie seinen Zustand. Ludolf schien in heller Aufregung zu sein. »Was ist geschehen? Bitte, sag schon.«
Ludolf fragte den Bischof leise: »Können wir ein wenig zur Seite treten, damit uns keiner hört?«
Otto wendete sich sofort zum Querhaus, wo niemand außer ihnen war, und winkte den beiden jungen Leuten. Sie folgten ihm auf dem Fuß. Agnes nahm Ludolfs freie Hand, in der anderen hatte er den kleinen Stapel mit den Steuerlisten. Die Papiere raschelten fortgesetzt, so sehr zitterte seine Hand. Gestern hatte er ihr geholfen, heute wollte sie ihm helfen.
Der Bischof schaute sich
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