Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
wenigstens eine kleine Andeutung machen können.
Die beiden hatten inzwischen Minden durch das Simeonstor verlassen und befanden sich wieder auf dem Weg neben der Weser. Ihre Schritte wurden langsamer. Sie strebten auf eine große Weide zu, die neben einigen Büschen auf einer Brache stand. Erschöpft setzten sie sich nebeneinander gegen den Stamm. Der Schatten tat gut in der heißen Sonne.
Endlich begann Ludolf mit seinem ausführlichen Bericht. Er holte die Listen wieder hervor und breitete sie im Gras aus.
Agnes lauschte begierig und gespannt, während sie ihr Kopftuch abnahm.
Er erzählte von dem Gespräch mit Caspar von Ilse. Was jener über die Herren vom Berge gesagt hatte. Dann kam er auf die Dokumente zu sprechen, auch auf jenes, das er heimlich eingesteckt hatte. Er zeigte ihr genau, was ihm aufgefallen war.
Sie konnte es kaum fassen, dass solch ein kleiner Eintrag so viel nach sich ziehen sollte. Als Ludolf zum Kernpunkt seiner Überlegungen kam, sprang Agnes erschrocken auf. »Du musst dich irren! Das kann nicht sein! Das darf nicht sein! Das ist nicht richtig!« Das hätte allem widersprochen, was sie gelernt hatte. Allem, was sie über Aufrichtigkeit und Loyalität wusste. Sie riss ihm die Listen ärgerlich aus der Hand und ging über die Wiese in Richtung des Flusses. Sie schaute sich die Dokumente noch einmal sehr genau an. Vorsichtig kratzte sie mit dem Fingernagel darüber, damit auch ja kein Fitzelchen Dreck ihr Urteil verfälschen konnte. Kein Zweifel. Es war nichts gefälscht, alles echt. Es musste eine andere, eine harmlosere Erklärung geben. »Nein, nein. Lass uns in Ruhe überlegen, was dagegen spricht. Welche andere Deutung möglich ist.«
»Wenn wir nur die Listen nehmen, gibt es viele. Aber wir müssen in Betracht ziehen, was wir sonst noch erfahren haben.« Ludolf beschrieb noch einmal ganz genau die Umstände, die nur den einen Schluss zuließen. Das musste der Mörder sein.
Agnes fand kein Argument dagegen, es war zu eindeutig. Entmutigt kam sie zurück und ließ sich neben Ludolf ins Gras fallen.
»Ich bin mir aber noch immer nicht so sicher bei dem Warum«, fuhr er fort. »Du wirst zugeben, er muss der Mörder sein. Aber warum bringt er Kuneke um? War das nötig? Mir fällt dafür nur eine Situation ein, die ihn dazu zwingen würde. Solange das nicht klar ist, traue ich den Listen nicht viel Überzeugungskraft zu.«
Jetzt war Agnes an der Reihe zu berichten. Sie hatte lange genug geschwiegen und Ludolf sprechen lassen. Sie setzte sich wieder hin und erzählte ihm, was in der vorigen Nacht geschehen war. Erst sprach sie stockend, dann immer schneller. Denn jetzt machten beide Entdeckungen zusammen einen Sinn. Alles in allem war der Fall klar. Schrecklich und unmenschlich!
Sie saßen schweigend im Gras. Agnes zwirbelte gedankenverloren eine Haarsträhne, Ludolf hatte seinen Kopf gegen den Weidenstamm gelehnt und hielt die Augen geschlossen. Sie mussten die Sache in Ruhe verarbeiten. Das ging nicht so schnell.
»Verstehst du jetzt, warum es mir gestern Abend so schlecht ging?«, begann Agnes nach einiger Zeit wieder. »Und warum ich dir nichts sagen konnte?«
Er nickte nur. Als Nonne hatte sie sich gar nicht anders verhalten können. Es war ganz logisch, dass sie in dem Zwiespalt zwischen der strengen klösterlichen Erziehung und dem bischöflichen Auftrag gefangen war. Erst die Unterstützung eines Geistlichen konnte ihr helfen.
»Ludolf, ist das die richtige Lösung?«
»Haben wir etwas Wichtiges vergessen? Woran haben wir nicht gedacht?«
»Mir fällt nichts ein. Ich möchte keinen Fehler machen. Denn damit rechnet keiner, noch nicht mal der Bischof.«
»So unmöglich es klingt, so eindeutig sind unsere Beweise.«
Die beiden wussten genau um ihre heikle Lage. Sie kämen in Teufels Küche, wenn ihre Lösung falsch sein sollte.
Agnes überlegte laut: »Ob wir morgen alles gut erklären können? Damit es keine Zweifel an den Ausführungen gibt. Ich habe Angst, sie könnten uns nicht glauben. Wir stehen einigen hohen Leuten gegenüber.«
»Der Bischof hat uns auch zugehört.«
»Ob es so bleibt, wenn wir zu der Lösung kommen?«
»Das hoffe ich.«
»Mir ist schlecht.« Sie legte sich völlig erschöpft ins Gras und streckte Arme und Beine von sich. Es war heiß. Es regte sich kein Lüftchen, das ein wenig Erfrischung hätte bringen können. Zum Glück drangen nur einzelne Strahlen durchs Blätterdach. Trotz der geschlossenen Augen sah sie durch die Lider helle Blitze
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