Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
nicht getan. Marie muss sich irren. Oder sie will sich an mir rächen, weil ich Kuneke liebe und nicht sie!«
»Du frecher Hund!«, schrie der Amtmann und schlug ihm ins Gesicht. »Sofort knebeln!«
Der Hauptmann stand schon neben dem Gefangenen, riss an seinen Fesseln und holte aus, um ihm einen Schlag zu versetzen, doch zum Glück entsann er sich der drohenden Worte des Bischofs.
Dieser fuhr wieder dazwischen. »Amtmann! Haltet Euch zurück!«
»Was?« Josef Resenbach ging mit zornrotem Gesicht auf Otto zu. »Er ist ein Mörder!«
»Das müsst Ihr erst noch nachweisen.«
»Warum habe ich wohl die Mühen auf mich genommen? Nur zum Spaß? Nur damit Ihr diesen Halunken wieder laufen lasst?«
»Zügelt Euer Temperament! Ihr vergesst, wo Ihr Euch befindet. Bedenkt, dass Ihr nur ein Knecht meiner Brüder und mir seid. Ihr habt zu gehorchen, nicht mit uns zu streiten. Ist das jetzt klar?«
Josef Resenbachs Fäuste waren so fest geballt, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Seine Zähne knirschten laut vor Wut.
Der Bischof erhob sich ärgerlich von seinem Stuhl und richtete sich auf. »Zum letzten Mal: Ruhe jetzt! Der Nächste, der sich nicht beherrschen kann, bekommt zehn Streiche. Irgendwelche Einwände?«
Keiner der Anwesenden rührte sich. Der Bischof machte es sich wieder auf seinem Stuhl bequem. »Gut. Dann sollen jetzt Ludolf vom Domhof und Agnes von Ecksten beginnen.«
Die beiden schauten sich nervös an. Agnes forderte Ludolf flüsternd auf zu beginnen. Er nickte nur, löste sich von der Fensterfront und ging einige Schritte zur Mitte des Saales, bis er ungefähr auf gleicher Höhe mit Resenbach, von Lübbecke und Wiegand stand. Er verneigte sich in Richtung der Brüder vom Berge.
»Ehrwürdige Herren, werte Anwesende, wir danken Euch sehr, dass Ihr uns die Möglichkeit gebt, einen kleinen Anteil an der Aufklärung zu leisten. Wenn es Euch nichts ausmacht, möchte ich mit einigen Fragen zum Bericht des Amtmanns beginnen.«
Seine Stimme zitterte vor Aufregung. Er versuchte, langsam und ruhig zu sprechen. Da kein Widerspruch kam, wendete er sich an Josef Resenbach. »Habt Ihr überprüft, ob Euer Gefangener auf Wedigenstein war? So wie er das behauptet.«
»Das war nich’ nötig. Auch wenn er dort war, is’ doch völlig egal! Marie sagt, sie sah ihn am Abend drüben auf ’er ander’n Seite der Weser. Dann hat er die Wiegand halt auf dem Rückweg erwischt und erschlagen.«
»Ich muss Euch leider widersprechen. Der zeitliche Ablauf ist sehr wichtig. Der bestimmt hier nämlich über Schuld oder Unschuld.«
Anstatt einer Antwort fluchte der Amtmann leise vor sich hin und beschwerte sich beim Bischof. »Muss ich mir so was bieten lassen? Er hat doch keine Ahnung!«
»Antwortet ihm! Langsam verliere ich die Geduld. Ihr macht Euch mehr Gedanken um Euch selbst als um den Fall.«
Ohne Ludolf anzublicken, kam die Antwort: »Nein. Hab’ ich nicht. Warum? Weil’s keine Rolle spielt.«
Nun begann der junge Mann mit seiner Erklärung. Er bewegte sich langsam in Richtung der hohen Herren. Alle hörten mit wachsender Anspannung zu.
»Falls der Schmied eher zurückgekommen war als Marie, würde die Aussage der Magd bestätigt. Wiegand fing seine Schwägerin ab – vielleicht durch Zufall, vielleicht mit Absicht –, sie bekamen Streit, er griff sich einen Knüppel und erschlug sie; anschließend warf er die Leiche ins Wasser. Und welches wäre der nächste logische Schritt? Der Schmied nahm sein Boot und fuhr zurück, als wäre nichts geschehen. Marie, die alles beobachtet hatte, blieb voller Angst eine Zeit lang in ihrem Versteck und kehrte erst später zurück in den Ort.«
Ludolf machte eine kurze Pause und achtete auf die Reaktionen der Zuhörer.
Dann fuhr er fort. »Aber das konnte so nicht stimmen. Der Fischer Hermann Poggendorf war abends noch an der Anlegestelle bei seinem Boot. Er sah Marie weinend zurückkommen. Es fehlten jedoch noch zwei Boote. Nämlich das, mit dem Kuneke übergesetzt war und das später herrenlos gefunden wurde, und jenes, das der Schmied benutzt hatte. Also kam Dietrich Wiegand erst nach der Magd über die Weser. Ergo: Es gibt ernste Zweifel an der Schilderung des Amtmanns.«
»Du spinnst ja!«, ereiferte sich Josef Resenbach. Er schob Ludolf zur Seite und trat vor Otto hin. »Das sind alles nur Hirngespinste. Die Magd hat geschworen, dass es der Schmied war. Das kann nicht geleugnet werden. Ich verlange die Verurteilung des Mörders. Er muss hingerichtet
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