Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
natürlich niemals schaffen. Manche Positionen erreichte man eben nur durch Geburt und mit Besitz, nicht durch Leistung. Aber das konnte Agnes’ Ehrgeiz nicht aufhalten. Mit zwanzig Jahren schon zur Scholasterin ernannt worden zu sein, war nicht schlecht. Die anderen adeligen Mädchen waren oft genug dumme, verzogene Frauenzimmer, die an Agnes’ Fähigkeiten nicht ansatzweise heranlangten.
Die Sonne brannte immer heißer. Ludolf fühlte sie sehr deutlich durch sein schütteres Haar. Hätte er doch einen Hut mitgenommen. Und der Magen knurrte andauernd. Er rief seiner Vorhut zu: »Agnes, wir sollten eine Pause machen, damit wir etwas essen und trinken können. Das Maultier muss sich auch einmal ausruhen und etwas fressen.«
Sie blieb stehen, überlegte einen Augenblick. »Wenn du jetzt schon schlappmachst: Da vorne sind einige Bäume. Wie es scheint, ist da auch ein Bach.«
»Danke. Sehr gnädig von dir.«
Es ging noch ein Stück an den bestellten Feldern des kleinen Dorfes entlang. Auf der linken Seite erhob sich ein Wäldchen aus Buchen und Eichen. Einige Bäume waren ziemlich verkrüppelt. Ein deutliches Zeichen, dass im Herbst die Schweine zur Mast hingetrieben wurden. Ludolf band das Maultier im Halbschatten an einen Stamm, unter dem saftiges Gras wuchs. Er füllte einen Eimer aus dem Hausrat vom Karren mit Wasser und stellte es dem Zugtier hin. Sofort fing es an zu saufen.
Agnes saß bereits am Bachufer und schnitt sich von einem Brotlaib Stücke ab.
Auch Ludolf holte seinen Proviantbeutel, setzte sich auf die andere Seite des Baches und begann zu essen. Eine ganze Zeit beschäftigte sich jeder mit seiner Mahlzeit und tat so, als sei der andere Luft.
Schließlich unterbrach der junge Mann die Stille. »Agnes, wollen wir uns weiter so anschweigen? Wir haben den ganzen Vormittag kaum ein Wort miteinander gewechselt.«
Demonstrativ langsam legte sie ihr Brot zur Seite. Sie klopfte ihr Kleid ab und legte ihre gefalteten Hände in den Schoß. Darauf hatte sie schon gewartet. Es hatte sie sowieso gewundert, dass Ludolf bis jetzt geschwiegen hatte. Was erwartete er eigentlich von ihr? Hätte sie den Unterhalter für ihn spielen sollen oder den Narren, der auf dem Markt seine Späße zeigte? Endlich schaute sie hoch und antwortete schnippisch: »Gibt es etwas zu besprechen?«
»Uns beiden gefällt der Auftrag nicht. Ich wäre jetzt auch lieber zu Hause. Aber wir sollten dennoch versuchen, miteinander auszukommen.«
»Wir haben eine Arbeit zu erledigen, mehr Gemeinsamkeiten gibt es nicht. Falls es etwas Wichtiges geben sollte, werden wir miteinander reden. Sonst sehe ich weder die Notwendigkeit für ein Gespräch noch verspüre ich ein Bedürfnis danach.«
»Seit wir uns kennen, wollte jeder von uns besser sein als der andere. Das hat immer wieder zum Streit geführt.«
»Falsch. Nicht besser sein, du willst immer alles besser wissen.«
Er lächelte. So mancher Zwist war von ihm in voller Absicht provoziert worden. Er beobachtete die junge Frau ganz genau aus den Augenwinkeln. Sie schaute demonstrativ in eine andere Richtung. »Es hat oft genug Spaß gemacht, dich zu ärgern. Leider hast du das Lernen immer sehr ernst genommen. Nicht, dass das falsch ist, meine ich, man muss etwas lernen. Aber deshalb ist es so einfach, dich mit ein paar dummen Bemerkungen in Rage zu bringen. Ich habe es ab und zu wohl übertrieben.«
Und wie, dachte Agnes. Auch wenn Ludolfs Streiche nie unzüchtig oder unschicklich waren, so waren sie aber grob und gemein. Ihr fehlte in solchen Augenblicken einfach die entsprechende Antwort auf die Frechheiten. Später wusste sie ganz genau, was sie hätte sagen sollen. Aber wenn es darauf ankam, war sie sprachlos. Oft hatte diese Hilflosigkeit sie noch wütender gemacht. Mit der Zeit war sie schon hochgegangen, bevor Ludolf überhaupt etwas gesagt hatte. Nur dieses Lächeln, das Grinsen in den Augenwinkeln, hatte schon genügt.
Ludolf unterbrach ihre Gedanken. »Ist es so schlimm, was früher war?«
»Was früher war, spielt keine Rolle mehr. Da hast du vollkommen recht. Aufgrund meiner guten Erziehung werde ich dir alle deine dummen Späße verzeihen. Aber heute ist für mich nur eines maßgeblich: Du folgst nicht der Kirche, du anerkennst nicht die heiligen Schriften der großen Lehrer. Du bist deshalb ein schlechter Umgang für jeden guten Christen. Und deshalb werde ich den Kontakt auf ein Mindestmaß beschränken.«
»Inwiefern folge ich nicht der Kirche? Ich bin getauft, und
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