Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
ich besuche regelmäßig die Messe. Ich halte die Gebote.«
»Du beschäftigst dich zu viel mit den Wissenschaften der Natur. Dadurch wird die Schöpfung geehrt, aber nicht der Schöpfer.«
»Durch die Studien der Natur lernen wir die Schöpfung besser kennen. Und ich finde, das ist auch gut so. Je besser wir die Natur kennenlernen, umso größer ist die Ehrfurcht, von der wir erfüllt werden. Dadurch können wir den Herrn noch mehr für alles preisen, was er geschaffen hat.«
Die junge Frau verneinte vehement: »Das ist die Ausrede eines Abtrünnigen. Die Wissenschaft wird von Menschen wie dir über die Mutter Kirche gestellt. Das ist ketzerisch. Spätestens, wenn ihr in der Hölle schmort und vom Teufel und seinen Dämonen gequält werdet, erkennt ihr, was ihr falsch gemacht habt. Aber dann wird es zu spät sein für euer Seelenheil.«
Ludolf ließ sich nicht so leicht überzeugen. »Was ist denn mit dem Bischof Albertus? Er hat viele Jahre die Natur erforscht, die Pflanzen, die Tiere, auch den Menschen. Er hat mehrere Bücher darüber geschrieben. Die Bibel ist ein geistliches Buch, ein Lehr- und Geschichtsbuch. Warum soll es dann nicht andere Bücher für die Wissenschaften daneben geben?«
»Warum spricht die Bibel wohl nicht darüber? Gerade weil diese leeren Reden und eitlen Erkenntnisse nur ablenken. Für das ewige Heil sind diese sogenannten Wahrheiten völlig unnötig. Die heiligen Kirchenlehrer haben uns klar gezeigt, dass nur das Geistige wichtig ist.«
Ludolf verzog sein Gesicht. Jetzt hieß es, vorsichtig zu sein, bevor es wieder zu einem Streit kam. »Ich möchte es eher so ausdrücken: Die Erkenntnis über die Natur ergänzt die Lehre der Bibel. Sonst wäre jeder Bader oder Medikus, der ein gebrochenes Bein schient oder einen kranken Zahn zieht, ein Ketzer. Oder jeder, der in den Garten geht und Kräuter gegen Koliken, Entzündungen oder Husten sammelt, wäre für den Scheiterhaufen bestimmt.«
»Das ist doch etwas ganz anderes. Aber dein so hochgeschätzter Albertus stützt sich auf Averroës, einen Mauren, auf Avicenna, einen anderen Heiden, und weitere islamische Ärzte. Er stützt sich auf das hohle Wissen von Feinden des Glaubens.«
»Bischof Albertus war sich dieser Einstellung wohl bewusst. Deshalb traute er in Glaubens- und Sittenfragen Augustinus mehr als den Philosophen. Wenn es aber um Fragen der Medizin ging, so schenkte er Galen oder Hippokrates mehr Glauben. Im Bereich der Naturwissenschaften wiederum glaubte er eher Aristoteles oder einem anderen Fachmann der Naturkunde.«
Agnes sprang heftig auf. »Das ist alles nur eine Ausrede. Wenn sich Albertus an Augustinus orientiert, sollte er an Folgendes denken:
experiendi per carnem vana et curiosa cupiditas, nomine cognitionis et scientiae palliata
. 13 «
Ludolf biss sich auf die Zunge. Er musste an das denken, was Albertus über seine Gegner schrieb:
Gerade jene, die aufgrund ihrer Faulheit unfähig seien, versuchten, andere, die ihnen wissenschaftlich überlegen waren, in Misskredit zu bringen. Solche Leute haben den Sokrates getötet, haben Platon aus Athen gejagt, haben gegen Aristoteles gearbeitet und ihn zur Auswanderung gezwungen
. Agnes redete inzwischen weiter. Er hatte nicht alles verstanden, nur die letzten Worte: »Albertus ist ein Ketzer, er widerspricht der Kirche und dem Papst.«
»Albertus wurde vom Papst zum Bischof geweiht. Er predigte für den Kreuzzug, der vom Papst unterstützt wurde. Er war der erste deutsche Professor an der Universität Paris. Er wurde zum Vermittler im Streit zwischen der Kölner Bürgerschaft und ihrem Stadtherrn, dem Erzbischof, eingesetzt. Warum hat der Papst in seiner Weisheit, Macht und Unfehlbarkeit das alles zugelassen oder sogar angeordnet? Wenn Albertus ein Ketzer war, warum wurde dem nicht Einhalt geboten?«
Die junge Frau starrte ihn an. Jetzt war es wieder so weit: Sie wusste nicht mehr, was sie darauf antworten sollte. Dass der Heilige Vater vom Teufel dazu veranlasst worden sei? Dass er sich bei der Unterstützung dieses sogenannten Bischofs geirrt hatte? Irgendetwas konnte bei Ludolfs Argumenten nicht stimmen. So fragte sie nur lahm: »Warum bist du immer anderer Meinung als ich?«
»Sonst hätten wir ja beide unrecht.« Das war wohl wieder ein bisschen zu unverschämt. Ludolf biss sich auf die Zunge. Er sah ihre feuchten Augen, eine Träne rann ihr über die Wange. Agnes wischte sie mit einer schnellen Handbewegung ab. Ludolf sollte nicht ihre Enttäuschung sehen. Schon
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