Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
standen inzwischen an der Kreuzung des Sieks mit der Straße um die Burg herum. Ludolf verabschiedete sich von den beiden Holzfällern.
Nachdenklich wandte er sich in Richtung seiner Behausung. Ihm ging die Schilderung des Unfalls immer wieder durch den Kopf: Regen, Nässe, Glätte, vom Pferd gefallen, mit dem Schädel gegen den Felsen geprallt, von Kalle gefunden, Untersuchung durch Anno und Josef Resenbach. Da schien es nichts Unerklärbares zu geben. Vorausgesetzt, der Pater war in Ordnung, was aber wohl nur wenige in Zweifel zogen. Was aber war mit Resenbach? Hatte er vielleicht doch einen Mord vertuscht? Und wusste dies Kuneke womöglich?
Ludolf fiel ein, dass er Agnes versprochen hatte zu kochen. Er hoffte, alles Nötige vorrätig zu haben. Mal sehen, was Agnes später zu seinen Kochkünsten sagen würde. Sie rechnete bestimmt damit, dass er jämmerlich versagen würde.
»Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht schaffe!«
Kunekes Freundin
Nach wenigen Schritten blieb Agnes stehen. In diesem Haus musste Kunekes Freundin wohnen. Warum sollte sie die Möglichkeit nicht gleich nutzen? Sie ging zu der kleinen Tür des Hauses. Niemand war zu sehen. Agnes klopfte und horchte, ob sich innen etwas regte. Nichts. Sie klopfte noch einmal, diesmal fester. Abermals keine Antwort. Sie versuchte, durch die Fenster ins Innere zu sehen, konnte aber außer ein paar Stühlen und einem Tisch nichts erkennen.
»Hallo! Jemand zu Hause?«
Sie wartete einen Augenblick. Die Bewohner sollten im Stall oder im Garten zu finden sein, falls sie nicht gerade auf dem Feld arbeiteten. Sie folgte den vom Fuhrwerk ausgefahrenen Spuren zur Hinterseite des Hauses. Auf dieser Seite war der Zugang zu Stall und Scheune.
Neben der Dielentür erhob sich ein stinkender Misthaufen. Die Hühner wühlten im Dreck nach Fliegenmaden und anderem Gewürm. Schnell brachte Agnes den Haufen hinter sich und trat in das Halbdunkel der Scheune. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das schummerige Licht. Links und rechts befanden sich allerlei Gerätschaften für die Feldarbeit. Verschiedene Sensen, Harken, Forken und Spaten. Davor standen ein Pflug und ein Leiterwagen. Neben all den Gerüchen nach Kuh und Schwein herrschte hier aber die frische Würze von Heu vor. Durch eine Luke im Dachboden erkannte sie die aufgeschichteten Berge des Winterfutters.
Ein wenig zaghaft rief sie: »Hallo! Ist jemand hier?«
Eine Frauenstimme antwortete von halb rechts: »Hier! Bin gleich soweit.«
Dort saß jemand hinter einer Kuh und melkte. Agnes sah nur verschmutzte Holzschuhe, nackte Waden und Hände, die die Milch treffsicher in den Eimer spritzten. Nach einem Moment kam die Bäuerin hinter dem Tier hervor. Sie nahm den Eimer und klopfte die Schuhe gegeneinander, um den Mist abzuklopfen. Sie war kaum älter als Agnes. Die Haare waren zu einem dicken Knoten hochgesteckt. Den Rock hatte sie um die Hüften gebunden, damit er bei der Arbeit nicht störte oder im Dreck hing. Auch die Bluse bedeckte nicht viel. Nicht nur weil ihr die Ärmel fehlten und man die kräftigen Arme sehen konnte. Lediglich zwei kleine Bändchen verhinderte, dass der pralle Busen entblößt wurde. Sie stellte sich als die neue Nachbarin vor. »Ich wollte jetzt einmal die Nachbarschaft erkunden.«
Die Melkerin lächelte erfreut zurück. Sie entschuldigte sich, dass sie Agnes nicht entsprechend begrüßen konnte, aber ihre Hände waren zu schmutzig. Wie zur Bestätigung hielt sie ihre freie Hand hoch. In der anderen hatte sie den Eimer mit der Milch. Sie machte einen netten und offenen Eindruck.
»Ich bin Gisela Wendt. Mein Mann Albert ist auf’m Feld arbeiten. Den könnt Ihr bestimmt später noch kennenlernen. Unsere Kinder spielen irgendwo draußen mit den anderen.«
»Ich war gerade eben bei Mechthild Fischer nebenan. Die Frau tut mir wirklich leid. Schon wieder ein Schicksalsschlag. Ganz schlimm muss es ja für die Kleinen sein.«
Gisela zog ein sorgenvolles Gesicht und nickte. »Wem sagt Ihr das? Erst der Vater und jetzt die Mutter.«
»So schnell sind sie zu Waisen geworden.«
»Das wissen wir nicht. Kuneke ist noch nicht gefunden. Weder lebend noch tot.«
»Gibt es denn noch Hoffnung, sie lebend zu finden?«
»Wir haben alles nach ihr abgesucht. Wir haben zwar nichts gefunden, das heißt aber nicht, dass sie tot ist. Wenn es keine Hoffnung mehr gibt ...? Die Zeiten heute sind schon schlimm genug. Da muss man sich schon an etwas Gutes klammern können.«
»Ihr habt recht«, gab Agnes
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