Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
zu.
Langsam gingen die beiden Frauen zum Haus. Beiläufig fragte Agnes nach möglichen Gründen für das Verschwinden der Nachbarin. Sie versicherte, keinesfalls neugierig sein zu wollen, aber sie fand es beunruhigend, dass an ihrem neuen Wohnort möglicherweise ein Mord passiert war. Hatten denn die übrigen Einwohner keine Angst, dass es wieder geschehen konnte?
Die Bäuerin stimmte zu: »Das haben wir auch schon überlegt. Deshalb haben unsere Männer auch alle Wälder um den Ort herum durchsucht, aber nichts gefunden. Auch haben wir nichts von einem Fremden gehört, der hier durchgezogen ist. Auch nicht in Veltheim, Lerbeck oder Nammen. Aber das muss nicht unbedingt bedeuten, dass nicht trotzdem einer von außerhalb Kuneke getötet hat. Ich glaube aber eher, es war ein Unfall.«
»Warum?«
»Nur so ein Gefühl. Ich weiß nicht warum. Vielleicht auch nur, weil ich ihr so eine Schande nie und nimmer wünsche.«
Dagegen vermochte Agnes schlecht etwas zu sagen. Nach einem Augenblick des Schweigens begann sie wieder. »Ich kannte Kuneke leider nicht. Dafür Ihr sicher umso besser. Aber mir fällt die Geschichte einer Frau aus dem Nachbardorf ein. Sie war auch jung zur Witwe geworden und hatte es dadurch sehr schwer. Einen Hof versorgen, Felder bestellen, ernten und das mit einem Kind von nicht einmal einem Jahr. Sie schaffte es nicht und konnte es nicht mehr ertragen. Mitten in der Nacht lief sie fort. Das Kind ließ sie vor dem Kloster zurück. Man hat sie nie wieder gesehen.«
»Kuneke hätte niemals freiwillig ihre Kinder verlassen. Sie hat sie sehr geliebt. Seitdem ihr Mann tot ist, hat sie sich umso mehr um sie gekümmert. Nein, die Kinder hätte sie nie verlassen. Da bin ich mir sicher.«
Die beiden Frauen waren stehen geblieben. Giselas Stimme war bei den letzten Worten energisch geworden.
Agnes antwortete beschwichtigend: »Entschuldigt bitte. Ich wollte bestimmt nicht schlecht über Eure Nachbarin sprechen. Man macht sich halt seine Gedanken.«
»Das ist ja auch richtig. Ich habe schon so manches Mal in den letzten Tagen in der Stube gesessen und geweint. Ich habe mir den Kopf zermartert, was los ist. Hat ihr jemand etwas angetan? Wer? Ich weiß es einfach nicht.« Ihr rannen Tränen über die Wangen. Mit dem Rücken der freien Hand wischte sie sie fort.
»Hatte Eure Freundin denn einen Liebsten?«
Die Bäuerin kicherte leise und hielt sich verschämt den Mund zu. Sie sah Agnes’ fragenden Blick: »Vor drei oder vier Wochen habe ich Kuneke morgens im Garten getroffen. Sie hockte mit geschlossenen Augen neben einem Kirschbaum und war ganz blass. Ein Stück weiter lag in einer dampfenden und stinkenden Lache ihr Frühstück. Kuneke machte einen erbärmlichen Eindruck. Um sie aufzumuntern, machte ich einen kleinen Spaß. Ach, wieder schwanger? Kuneke fand das gar nicht lustig und sagte, dass sie sich den Magen verdorben habe. Obwohl sich die Magenprobleme einige Tage hinzogen. Eigentlich viel zu lange. War halt ein kleiner Spaß, den ich machen wollte. Es war nicht ernst gemeint.«
»Gab es denn jemanden?«
»Das so auszudrücken, wäre ganz schön übertrieben. Sie hatte zwei Verehrer. Das eine war ihr Schwager, der Schmied Dietrich. Den hätte ich aber auch nicht genommen.«
»Warum? Ist er so hässlich?«
Endlich lächelte sie wieder und winkte ab. Sie stellte den Eimer mit der Milch auf die Erde. Er wurde mit der Zeit zu schwer.
»Nö, gar nicht. Er ist ein stattlicher Kerl. Er könnte mir gefallen, wenn er nicht so aufbrausend und ungeduldig wäre. Und immer nur eifersüchtig.«
»So ein aufdringlicher und eifersüchtiger Verehrer könnte doch auch einmal die Nerven verlieren.«
Gisela schwieg einen Augenblick. »Ob Dietrich mit Kunekes Verschwinden zu tun hat, weiß ich nicht. Ich glaube kaum, dass er so weit gehen würde. Dafür hat er viel zu viel Respekt vor Kuneke. Aber wenn das trotzdem seine Schuld ist, werde ich ihn eigenhändig umbringen.« Die blitzenden Augen zeigten deutlich, dass es ihr bitterernst mit der Drohung war. Sie sah nicht so aus, als ob sie so etwas leichtfertig oder unüberlegt sagen würde.
»Und wer war der zweite Verehrer?«
»Das war ein Händler aus Minden. Stinkreich, mit großem Einfluss und angesehen. Sehr höflich, immer zuvorkommend. Aber sie wusste nicht so recht, ob sie ihn mag oder nicht.«
»Wie geht das denn?«
»Na ja. Er gefiel ihr. Sie wünschte sich wieder einen Mann. Wegen der Kinder, damit sie in einem vernünftigen Hause aufwachsen
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