Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Gethsemane, als der Herr Jesus Christus verraten und festgenommen wurde?«
Der Priester schaute Ludolf erstaunt an. Er kniff die Augen zusammen, als wollte er sagen: Was hast du jetzt vor? Willst du mich jetzt aufs Glatteis führen? Er nickte aber und hörte gespannt zu.
»Der Apostel Petrus war auch immer schnell bei der Sache. Um seinen geliebten Herrn zu schützen, griff er zum Schwert und schlug dem Sklaven des Hohepriesters ein Ohr ab. Hat Jesus dies dem Petrus übel genommen?«
Annos Gesicht klärte sich wieder auf. »Nein. Er heilte das Ohr des Sklaven wieder und verurteilte nur die Anwendung von Gewalt. Aber nicht Petrus.«
»Und was war nach dem dreimaligen Verleugnen nach Jesu Gefangennahme?«
»Es reute ihn und tat ihm leid.«
»Hat Petrus sein Apostelamt verloren?«
»Nein. Ihr seht, dass ich selbst bei der Einschätzung unseres Herrn zu schnell bin. Ihr seid ein aufmerksamer und kluger junger Mann. Ihr passt gut zu Eurer Frau.«
»Danke. Aber nun sagt bitte, was Ihr vor einigen Augenblicken in Euch hineingemurmelt habt. Ich werde Euch schon nicht verraten.«
Der kleine, runde Pater atmete tief durch. »Nun gut. Ich möchte natürlich nicht, dass irgendjemand durch meine Ansichten Ärger bekommt. Dem Bischof gehören mehrere Häuser hier um die Burg herum, die er verpachtet hat. Aber eins steht noch leer. Oben am Siek, fast am Wald. Dort ist es nicht so schattig und feucht wie hier. Ich denke, ich sollte einmal mit dem Amtmann sprechen. Ich meine, Ihr habt etwas Besseres verdient als diese erbärmliche Hütte. Wenn es mal passt, rede ich mit dem Herrn selbst. Macht Euch darum keine Gedanken. Ich passe schon auf, dass Ihr keinen Ärger deswegen bekommt.«
»Das ist sehr nett von Euch«, stimmte Ludolf zu.
»Aber jetzt sagt mir, wohin ist Eure Frau Luke unterwegs?« Anno von Dankersen zeigte auf Agnes, die bei den Booten mit jemandem sprach.
»Sie will hinüber zur Nonne auf dem Berg.«
»Ah, zur Inklusin Hildegard.«
Der Pater erzählte von dem Gespräch, das er mit ihr am Morgen geführt hatte. Er schwärmte von der guten und löblichen Erziehung, die die mitfühlende Luke im Kloster erhalten hatte. Vom ersten Augenblick war ihm klar, wie viel Gutes solch eine gescheite, junge Frau hier am Ort bewirken könne. »Ja, ja! – Besonders macht sie sich wohl Sorgen um die arme Frau, die vor Kurzem ohne Spur verschwunden ist.«
»Gibt es denn noch Hoffnung?«
»Hoffnung gibt es immer und überall. Aber nur der da oben weiß, wie viel es in diesem Fall ist. Kuneke ist schon so viele Tage fort. Mit jedem Morgen stirbt ein Stückchen mehr Hoffnung. Die armen Kinder, sie tun einem so leid.«
Anno von Dankersen gehörte wahrlich nicht zu den Priestern, denen ihre Stellung und ihr Einfluss bei den Fürsten und Klerikern wichtiger waren als die ihnen anvertraute Gemeinde, er machte sich wirklich Sorgen um seine Mitmenschen.
»Wurden denn auch die verschiedenen Möglichkeiten bedacht, warum sie fortbleibt?«, wollte Ludolf wissen.
»Ihr meint, außer einem Unfall?«
»Ja.«
»Ach, daran mag ich gar nicht denken. Wer weiß, welche Sünden sich da ein Mensch auf seine Seele geladen hat. Mord oder sogar Selbstmord. Oh, wie schrecklich.«
Anno von Dankersen bekreuzigte sich schnell und faltete die Hände zu einem kurzen Stoßgebet.
»Oder sie lebt doch noch«, warf Ludolf ein. »Was ist, wenn sie von sich aus verschwunden ist? Wenn sie ihr bisheriges Leben nicht mehr mochte? Wenn sie mit einem Mann auf und davon ist?«
Der Pater winkte energisch ab. »Das ist unvorstellbar. Kuneke ist keine Frau, die einfach den Ort und die Stellung, auf die Gott sie gesetzt hat, verlässt. Sie kennt ihre Pflichten gegenüber den Kindern, der Mutter und den Mitmenschen nur zu genau. Sie ist eine treue und wohlerzogene Tochter, die ihrer Familie nie eine Schande bereitet hat.« Anno hatte sich in Rage geredet.
Ludolf entschuldigte sich. »Ich habe bestimmt nicht Kunekes Ehre und Redlichkeit in Abrede stellen wollen. Ich kann mir nur nicht erklären, was mit ihr passiert ist. Vielleicht ist sie auch entführt worden?«
»Das ist nicht auszudenken! Was mögen ihr unter solchen Umständen wohl für Qualen und Schmerzen bereitet werden? Von ihren Kindern fortgerissen. Und was sonst noch mit ihr geschehen könnte? Man darf gar nicht daran denken. Aber wer sollte sie entführen?«
»Wenn solch eine Tat durch jemanden begangen wurde, der Kuneke kannte, solltet Ihr es eher wissen als ein Fremder wie ich. Wenn es ein
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