Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Unbekannter war, werden wir es womöglich nie erfahren können.«
»Ich weiß niemanden, der Kuneke etwas Böses antun wollte.«
»Wirklich keinen?«
»Wie meint Ihr das?«
»Wie es scheint, hatte Kuneke Ärger mit dem Amtmann.«
»Das hat fast jeder hier am Ort. Das ist nichts Besonderes. Wenn der Josef Resenbach nicht meckern kann, ist er nicht zufrieden.«
»Ihr sagtet meiner Frau, dass der Amtmann Kuneke nach der Messe aufgehalten habe.«
Der füllige kleine Priester wand sich. Er verzog sein Gesicht, wurde sichtlich nervös. »Ja, ja, das habe ich gesagt. Aber ... ähm ... ich möchte hier jetzt niemanden anklagen oder verleumden. Das gehört sich nicht. Ich meine ... Es wird doch so viel gesagt. Im Zorn gesprochen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass jemand das dann auch tut. Oder irre ich mich da?«
»Da habt Ihr recht. Wo bei jemandem die Grenze liegt zwischen dem, was er sagt, und dem, was er tut? Wann wird genau das in die Tat umgesetzt, was sonst immer nur angedroht wurde? Zum Beispiel ein Mord!«
Der arme Pater sank immer mehr in sich zusammen. »Ja, das könnte schon sein.«
»Und was ist mit dem Schmied Dietrich, ihrem Schwager?«
»Die beiden hatten doch keinen Streit.«
»Er war doch hinter Kuneke her, aber sie mochte ihn nicht sonderlich. Sie war wohl mehr mit dem Tuchhändler zusammen.«
Anno kratzte sich am Kopf. »Ihr meint, dass Eifersucht im Spiel sein könnte? Na ja, schon möglich. Dietrich ist ab und zu recht jähzornig. Aber er hat noch nie jemanden verletzt. Auch seine leider viel zu früh verstorbene Frau nicht.«
»Aber wo ist die Grenze, bei der aus dem wilden Schreien eine sündige Handlung wird?«
»Nur der Herr und der arme Sünder wissen das. Wir sehen nur bis vor den Kopf.« Der kleine Pater schaute Ludolf direkt in die Augen, als wollte er versuchen, die Gedanken des neuen Mitbürgers zu ergründen. Ernst fragte er: »Seid Ihr Tischler oder Richter? Ihr fragt, als wärt Ihr bei der Inquisition. Das geht mir weiter als einfach Neugier oder Mitleid mit Nachbarn. Seid Ihr wirklich ein Tischler?«
Ludolfs Herz raste wie wild, und seine Knie wurden weich. Dieser kleine, dicke Pater hatte ihn durchschaut. Das würde dem Bischof gar nicht gefallen. Damit hatte er alle möglichen Leute von der Äbtissin Heilwig bis zu seinem Vater enttäuscht. Und Agnes würde ihm die Hölle heiß machen. Damit wäre es mit der ersten zarten Annäherung zwischen ihnen dann auch schon wieder vorbei. Und – wenn der Pater ihre Tarnung auffliegen ließ, wäre es aus mit ihren Nachforschungen. Natürlich würden der Herr auf der Burg und der Bischof auch davon erfahren, und ihre Mission wäre sofort beendet. Und der Übeltäter oder die Übeltäterin wären auf jeden Fall gewarnt.
»Ich möchte die Beichte ablegen«, sagte Ludolf für den Priester überraschend. »Könnten wir das hier und jetzt machen?«
Völlig verwirrt nickte der kleine Pater und folgte dem jungen Mann in die schäbige Hütte.
Agnes fährt über die Weser
Agnes wusste nicht ein noch aus. Seit der kurzen Umarmung mit Ludolf war ihr Gefühlsleben in Unordnung, ein Mischmasch aus Abscheu, Freude und Enttäuschung. Und das alles wegen dieses Kerls, der ihr eigentlich so zuwider war.
Mittlerweile war die junge Frau am Ufer der Weser angelangt. Vier Boote, drei kleine und ein längeres, lagen halb auf das Ufer gezogen und waren mit Stricken an dicken Pflöcken gesichert. Diese Art Boote schien es hier in der Gegend öfter zu geben. Sie waren breiter als ein Ruderboot, aber dafür flacher. Damit konnte man auch voll beladen bei niedrigem Wasser noch gut fahren. Netze und mehrere Reusen hingen zum Trocknen auf Stangen. Ein Fischer lud aus dem längeren Boot einen Weidenkorb mit dem Fang des Vormittags aus. Agnes erkannte ein paar Aale und Rotaugen. Obenauf lag ein ellenlanger Zander.
Der Fischer richtete sich auf und sah Agnes, wie sie ihn beobachtete. Er begrüßte sie freundlich mit einem breiten, offenen Lächeln. Ein drahtiger, kräftiger Mann von etwa fünfzig Jahren. Sein dichtes, graues Haar war mit einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden. Sein Vollbart war recht kurz gestutzt und ebenso grau wie das Haupthaar. Agnes stellte sich als neue Bewohnerin des Ortes vor. Der Fischer kam auf sie zu und hielt ihr seine kräftige Rechte hin.
»Ich bin Hermann Poggendorf. Ich habe Euch gestern schon gesehen. Nur schade, dass Ihr das schlechteste Haus hier bekommen habt.«
Agnes nickte und winkte ab. »Halb so wild. Das
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