Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
So argwöhnisch zu sein, ist gegen den gesunden Menschenverstand.«
»Argwöhnisch finde ich ein wenig zu abfällig. Ich möchte es lieber genau nennen. Es mag zum Beispiel in unserem Fall sehr viel gegen den Schmied sprechen. Er hat sich verdächtig gemacht, er ist jähzornig, das stimmt. Wenn wir aber dafür sorgen, dass er bestraft wird, obwohl es noch Zweifel gibt, dann machen wir uns schuldig. Denn nachher stellt sich heraus, dass er es doch nicht war. Aber weil wir zu schnelle Schlüsse gezogen haben, wurde der richtige Täter übersehen. Willst du das?«
Agnes stöhnte. Immer musste er einem das Wort im Munde herumdrehen. »Natürlich nicht! Aber hast du überhaupt keine einzige Vermutung? Wenigstens eine kleine?«
Ludolf zögerte. Offensichtlich brauchte Agnes unbedingt einen Verdächtigen, auf den sie sich einschießen konnte. Seiner Meinung nach sollte man sich der Reihe nach jeden einzelnen Verdächtigen vornehmen und abwägen, was für oder gegen dessen Täterschaft sprach. Und was war, wenn man alle durchhatte? Was war, wenn man neue Erkenntnisse bekam? Fing man wieder von vorne an? Welch eine Verschwendung von Kraft und Zeit. »Na gut. Eines geht mir nicht aus den Sinn. Welche Art von Papieren wollte Josef Resenbach von Kuneke haben? Was ist mit seinem Neffen, diesem Kalle Schutte? Hat er die Leiche von Kunekes Mann wirklich nur gefunden, oder war es doch möglicherweise Mord, und sein Onkel hat da etwas vertuscht?«
»Gut.« Mehr wollte Agnes nicht dazu sagen. Er würde schon sehen, wer recht behielt. Sollte er doch seine Kraft und Zeit unnütz vergeuden.
Unterdessen wurden Ludolf und Agnes immer erschöpfter. Die Hitze, der lange Weg und quälender Durst setzten ihnen zu. Sie mussten sich unbedingt erkundigen, ob der Weg auf der anderen Seite der Weser, der durch die Furt bei Aulhausen ging, kürzer war. Sie hätten lieber jemanden im Ort an der Burg fragen sollen, anstatt einfach überstürzt aufzubrechen.
Schließlich überquerten sie auf einer kleineren Brücke den Weserarm. Jetzt konnten sie auch die eigentliche, große Weserbrücke sehen. Sie führte von dieser Flussseite bis direkt an die Stadtmauer auf der anderen Seite. Dort erhob sich ein großes Tor, durch das alle hinein- und hinausmussten. Als es hier vor Jahrhunderten nur eine Furt anstelle einer Brücke gegeben hatte, war es zu bestimmten Zeiten im Jahr aufgrund des Wasserstandes nicht möglich gewesen hinüberzukommen. Erst diese feste Querung hatte einen florierenden Handel ermöglicht. Die Pfeiler der Brücke waren aus dem bekannten Sandstein gemauert. Im Fluss befanden sich hölzerne Gestelle, Stämme, die in den Boden gerammt worden waren, damit die Brückenkonstruktion im Winter gegen die Eisschollen geschützt war. Auf die Pfeiler waren große Balken und Bohlen gelegt worden, über die die Menschen und Fuhrwerke trockenen Fußes in die Stadt kamen. Unterhalb des Bauwerks befanden sich einige Schiffsmühlen auf dem Wasser.
Auf der Mitte der Brücke blieben Ludolf und Agnes stehen und schauten den Fluss hinauf nach Süden. Die Schalksburg war von hier aus nicht zu sehen. Noch ein ganzes Stück weiter war ihre Heimat, Möllenbeck. Wenn sie ihren Auftrag doch schon erledigt hätten und nach Hause zurückkehren könnten! Beide schauten sich an und wussten ganz genau, dass der andere das Gleiche dachte.
»Lösen wir heute das Geheimnis?«
»Wäre nicht schlecht. Dann wären wir bald erlöst.«
Sie gingen weiter zum Tor. In der Brückenkapelle hinterließen sie eine Spende. Hinter dem Tor kamen sie wieder über eine Brücke, die über einen Bach führte, welcher an der Stadtmauer entlangfloss und ein Stück tiefer in die Weser mündete. Jetzt konnte man zur linken Hand auch einen wuchtigen Kirchturm sehen. Nach der Form und der Bauweise musste das der Dom sein.
Sie fragten eine alte, leicht gebeugt gehende, einen Gemüsekorb schleppende Frau nach dem Weg zum Hospital. Diese grinste die beiden mit einem zahnlosen Mund an und beschrieb mit ausladenden Gesten den Weg. »Geht’r erst hier die Straße hoch. Ob’n dann nach links. Da sind de’ Fleischer mit ihren Scharn.«
Agnes schaute überrascht. »Was ist denn das?«
»Was’n Fleischer is? Oder Scharn?«
»Scharn«, antwortete Agnes.
»Biste wohl nich’ von hier, wa? Das sind de’ Steintische, auf den se ihr Zeuch verkauf’n. Über’n Marktplatz, immer g’radeaus. Dann kommt’r zur Simeonstraße und zum Tor. Gleich draußen is’es, auf’r rechten Seite. Alles
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