Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
klar?«
Beide nickten.
»Wollt’r was von mein’ Kohl hab’n? Is’ ganz frisch.«
»Nein danke, gute Frau. Wir müssen uns beeilen«, erwiderte Ludolf und drückte ihr einen Heller 23 in die schmutzige Hand.
Wieder zeigte sie die makellose Reihe ihrer fehlenden Zähne. »Is gut, mein Jung. Kannst noch öfters zu mir komm’ und nach’n Weg frag’n.«
Leise vor sich hinlachend gingen die beiden die angegebene Straße entlang. An einem kleinen Brunnen löschten sie erst einmal ihren Durst. Je weiter sie kamen, umso mehr Häuser standen an der Straße. Die unteren Stockwerke waren teilweise offen, damit die Kunden die Handwerker bei der Arbeit beobachten konnten. Neben einigen Töpfern und Schneidern gab es hier besonders viele Bäcker. Es war offensichtlich, dass die Handwerkergilden fest zusammenhielten und ihre eigenen Viertel bildeten.
Aber wie in jeder Stadt war die Straße nicht nur Verkehrsweg, sondern auch Kloake und Müllplatz. Der ganze Schmutz, Dreck und die Abwasser landeten hier. Man musste schon sehr vorsichtig sein, um nicht in irgendwelche stinkenden Haufen oder trüben Pfützen zu treten. All die verlockenden Düfte frisch gebackenen Brotes und süßer Kuchen, die den Öfen entströmten, wurden vor der Tür von dem beißenden Gestank der Straße übertüncht. An heißen Tagen wie diesem war es besonders schlimm. Und dabei hieß es ständig, Stadtluft mache frei. Frei von was? Frei atmen konnte man hier jedenfalls nicht. Dort auf der rechten Seite hatte ein Schuster seine Werkstatt. Im Hinterhof gerbte er wohl sein eigenes Leder. Die bestialischen Ausdünstungen schnitten einem den Atem ab. Zum Glück ließ der Gestank weiter oben nach.
Auf der Querstraße, in die sie nach der Beschreibung der alten Gemüsefrau abgebogen waren, kamen Agnes und Ludolf an den Auslagen der Fleischer vorbei. Eigentlich war es eine doppelte Straße. Sie war in der Mitte durch eine bis zu vier Ellen hohe Stufe getrennt. Auf der tiefer liegenden Seite hatten die Händler Steinplatten aufgestellt, auf denen das Fleisch zerteilt wurde. Einige hatten zum Schutz gegen die Witterung auch kleine Holzbuden gebaut, die sich mit den Rückwänden an die Böschung lehnten.
Hinter den Häusern zur rechten Seite blickte an einigen Stellen eine wuchtige Steinmauer hervor. Dahinter erhoben sich dann einige Ellen höher weitere Häuser und ein paar Kirchen.
Es ging am Rathaus vorbei über den Marktplatz, der wie die Straße vorher ebenfalls nach links abfiel. Hier stand auch der Galgen. Sie verließen den Markt über die Straße halb rechts und standen nach einiger Zeit vor dem großen Tor. Von den Wachtposten unbehelligt gingen sie hindurch und überquerten den Wassergraben, an dem eine Wassermühle lag. Hier vor der Stadtmauer musste irgendwo das Heilig-Geist-Hospital sein. Das etwas größere Gebäude dort rechts sollte es sein; denn es traten gerade zwei Frauen in Ordenstracht durch die Eingangstür. Um das größere Gebäude waren ein paar kleinere gruppiert. Die sahen nach Armenhäusern und Unterkünften für die Helfer aus.
Agnes und Ludolf waren stehen geblieben und schauten sich an. Voller Anspannung atmeten sie tief durch. »Gleich haben wir’s geschafft.«
Im Hospital
Die jungen Leute standen endlich vor dem Heilig-Geist-Hospital. Ein schmuckloses, großes Gebäude aus Sandstein. Über der Tür war eine Tafel mit einer Inschrift des Stifters eingemauert. Sie hofften so sehr, noch an diesem Tag dem Bischof den Erfolg der Mission melden zu können. Nervös standen sie vor der Tür.
»Los jetzt. Wenn wir noch länger warten, wachsen wir hier fest.«
Ludolf betätigte die kleine Glocke neben der Eingangstür. Eine ganze Weile geschah nichts. Kein Klappern von Türen, keine Schritte. Nach einer schier endlosen Zeit hörte man Geräusche, gerade in dem Augenblick, als Ludolf ungeduldig wieder den Klöppel betätigen wollte.
Eine junge, blasse Frau von höchstens zwanzig Jahren in Novizinnentracht öffnete ihnen.
Nach dem förmlichen und höflichen Austausch der Begrüßungen kam Agnes zum Anlass ihres Besuches. Vor lauter Aufregung fiel es ihr schwer, sich klar und deutlich auszudrücken. Fahrig drehte sie wieder an den Knöpfen ihrer Kleidung. »Wir sind auf der Suche nach einer Nachbarin vom Schalksberg. Ihr Name ist Kuneke Wiegand. Sie ist vor zwei Wochen verschwunden. Wir haben leider erst heute Morgen erfahren, dass ein Bauer sie gefunden und in Euer barmherziges Haus gebracht hat. Wie geht es der Frau jetzt?
Weitere Kostenlose Bücher