Die Herrin der Kelten
schaffen als die Schmerzen oder die Übelkeit. Er sehnte sich verzweifelt danach, wieder zum Rhein zurückzukehren. Damals war er gegen jede Angst gefeit gewesen oder hatte das zumindest geglaubt.
»Du brauchst das nicht zu tun.«
Corvus war von hinten auf ihn zugekommen, das Geräusch seiner Schritte vom Gesang der Ruderer übertönt. Der Präfekt stützte sich mit beiden Händen auf die Bugreling und verengte seine Augen zum Schutz vor dem Wind. Ein sich grünlich verfärbender Bluterguss prangte auf seinem Kinn, wo eine Chatti-Klinge seine Helmklappen getroffen hatte; ein weiterer Bluterguss war auf seinem linken Arm, wo sein Schild unter der Wucht des gegnerischen Schwerthiebs zurückgeprallt war. Zum Ausgleich für diese Verunstaltungen war sein Haar frisch geschnitten, und er trug die Tapferkeitsmedaille, die der Kaiser ihm persönlich überreicht hatte, um ihn für sein mutiges Handeln während des Überfalls zu belohnen. Bán trug das Gegenstück dazu an einer Lederschnur um den Hals, doch im Moment war die Medaille unter seiner Tunika verborgen.
Corvus drehte sich seitlich zur Reling herum und musterte Bán prüfend. Seit der Schlacht war er stets in der Nähe seines Schützlings geblieben und hatte auch nie viel Zeit zwischen seinen Besuchen im Krankenrevier verstreichen lassen. Er wusste, mehr noch als Theophilus, um das schwarze Loch, in das Bán gestürzt war. Im Gegensatz zu dem Arzt ignorierte er es jedoch und zog es vor, sich stattdessen erst einmal um das Lebensnotwendige zu kümmern und Bán aus seiner Verzweiflung herauszuhelfen, indem er ihm die kleinen Köder der Herausforderung und der Freundschaft zuwarf, die ihn wieder ins Leben zurückführen würden. Bán war zwar ohne jeden Enthusiasmus darauf eingegangen, hatte sich Corvus’ Versuchen, ihn zu beschäftigen und aufzumuntern, aber auch nicht völlig widersetzen können. Dann hatte er neue Befehle von Gaius erhalten, und die plötzliche Aufwallung von Furcht hatte die mit viel Geduld erzielten Fortschritte eines halben Monats im Nu wieder zunichte gemacht. Vor Theophilus konnte er seine Angst zwar verbergen, nicht aber vor Corvus. Und er hatte auch gar kein sonderlich großes Bedürfnis, sich vor seinem Freund und Gönner zu verstellen.
Corvus’ graue Augen wurden noch eine Spur schmaler. »Sieh dich doch bloß mal an! Du hast Fieber, das kann jeder sehen. Du hättest von Rechts wegen an Land bleiben sollen, oder zumindest solltest du wieder unter Deck gehen, wo der Arzt sich um dich kümmern kann.«
»Meinst du?« Bán brachte ein schwaches Grinsen zustande. »Ich habe gestern Erbsen und Linsen zum Abendessen bekommen, Theophilus’ Heilmittel für den Rekonvaleszenten. Es wäre bestimmt ein farbenfroher Anblick, wenn ich das Zeug an die Wände spucken würde, aber ich bezweifle doch sehr, dass es mich beliebter machen würde. Und außerdem - kannst du dir vorstellen, was mit der Besatzung passieren würde, wenn ich plötzlich mein Abendessen wieder von mir gäbe? Du weißt doch, wie es ist, wenn man auf eine Fischdiät gesetzt worden ist und ein Mann den ganzen Kram wieder rauswürgt - alle Übrigen riechen den Gestank, und ihre Mägen fangen aus lauter Mitgefühl prompt an, ebenfalls zu rebellieren. Der Kaiser würde mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen, wenn ich sein stolzes Schlachtschiff in ein Zwei-Mann-Ruderboot verwandeln würde, randvoll gefüllt mit Erbrochenem.«
»Du weißt genau, was ich meine.« Corvus war nicht in der Stimmung, sich ablenken zu lassen. Er starrte stirnrunzelnd auf den Horizont. »Du hättest ihm sagen können, dass du noch nicht gesund bist. Du könntest es ihm auch jetzt noch sagen.«
»Sag du es ihm doch. Ich komme dann zu deiner Kreuzigung und weine um dich.« Bán spuckte ärgerlich aus. Der Wind erfasste den Speichel und beschmierte sein Gesicht. Bán wischte sich die Spucke mit seinem Ärmel ab. »Vergiss es. Es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Der Bán, der damals in die Sklaverei verschleppt wurde, ist nicht der Bán, der in deinem Zelt in Durocortorum aufwachte, und der wiederum ist anders als derjenige Bán, der von Theophilus wieder ins Leben zurückgezerrt wurde. Außerdem vergisst du eines. Ich bin jetzt nicht mehr Bán. Seit gestern Abend bin ich Julius Valerius.« Er versuchte zu lächeln, doch der kalte Wind hatte seine Wangen so taub werden lassen, dass er schon Mühe hatte, die Lippen zum Sprechen zu bewegen. Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder zur Reling um.
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