Die Herrin der Pyramiden
Knien um ein Wort anflehen, wenn du Herrscher werden willst. Und dieses kleine, alles entscheidende Wort wird nicht Ja lauten, wenn du mich so behandelst.«
Am folgenden Nachmittag arrangierte Rahoteps Zeremonienmeister für mich eine Audienz bei der Königinmutter Meresankh. Sie war Gottesgemahlin des Königs Huni gewesen und nach dem Tod der Königin Kiya zur Großen Königlichen Gemahlin von Kemet aufgestiegen. Als Hunis Witwe hatte sie eines der höchsten Ämter in den Beiden Ländern inne. Sie nahm ihrem Sohn Seneferu viele repräsentative Verpflichtungen ab, empfing Botschafter und Abordnungen der Tempel, hielt Kontakt mit den Hohepriestern aller Götter und unterstützte ebenso Königin Hotephores in ihren Aufgaben. Meresankh war die Mutter von Seneferu, Nefermaat und Amenemhet, während Kiya die Mutter von Hotephores und Iset war.
Meresankh empfing mich in ihren Privaträumen, die sich wie alle Wohnungen der königlichen Familie im Haus der Verehrung befanden. Ich warf mich ihr zu Füßen und küsste den Boden vor ihrem Thronsessel. Dann wartete ich vergeblich auf ein Zeichen, mich erheben zu dürfen.
»Du bist also Nefrit. Ich war entsetzt, als Rahotep mir gestand, dass er eine Frau aus dem Volk erwählt hat.«
»Es tut mir Leid, wenn ich diese Gefühle bei Euch hervorgerufen habe, ohne dass Ihr die Gelegenheit hattet, Euch selbst ein Bild von mir zu machen, Euer Majestät«, sagte ich frech. Ich war wütend, weil sie mir nicht einmal die Chance gab, mich ihr selbst vorzustellen.
»Deine Worte sind nicht angemessen! Richte dich auf, damit ich dich sehen kann. Du sollst sehr schön sein.«
Ich richtete mich auf und kniete vor dem Thron. Dann hob ich vorsichtig den Blick und schaute in ihr Gesicht. Obwohl die Königinmutter bereits neunundvierzig Jahre alt war, sah sie sehr schön aus. Ihre braunen Augen waren mit blauem Lapislazulistaub umrandet, die Lippen mit Henna sanft gefärbt, die Haare und die geschwungenen Augenbrauen geschwärzt. Die Zeit schien ihr nichts anzuhaben.
»Rahotep wollte mir wohl schmeicheln, als er dich mit mir verglich. Du bist wirklich sehr schön, Nefrit. Welchen deiner Vorzüge hast du benutzt, um Rahotep von deiner Eignung für die Aufgabe als Prinzgemahlin zu überzeugen?«
Jetzt reichte es!
»Keine, Euer Majestät. Bisher haben Prinz Rahotep und ich weder das Bett geteilt, noch habe ich seine Bitte um Eheschließung erhört. Da ich als Frau aus dem Volk, wie Ihr, Euer Majestät, mich zu nennen pflegt, ohnehin nicht die geeignete Frau für den Sohn des Großen Gottes bin, werde ich gern von weiteren Überlegungen Abstand nehmen. Wenn ich mich erheben darf, werde ich Eure kostbare Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen.«
Meresankh lächelte amüsiert. »Dann stimmen die Gerüchte, dass er dich gebeten hat, ihn zu heiraten, und du ihn bereits zwei Mal abgewiesen hast?«
»Ja, Euer Majestät.« Ich stand auf, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.
»Liebst du Rahotep?« Königin Meresankh sah lauernd zu mir auf.
»Was ist Liebe, Euer Majestät? Leidenschaft, Begehren, Ekstase? Ich empfinde nichts von alledem. Zuneigung und Anerkennung? Dann liebe ich ihn.«
»Liebe ist all das, Nefrit«, sagte die Königinmutter. »Eine Frau kann all das mit einem Mann erleben.«
»War Huni so ein Mann?«, fragte ich.
Sie zögerte. »Nein, aber es gibt solche Männer!«, sagte sie verträumt, und ich fragte nicht weiter. Offensichtlich wollte sie darüber nicht sprechen. »Du liebst also meinen Enkel nicht. Warum denkst du trotzdem über eine Heirat nach? Denn das tust du, sonst wärst du nicht hier, Nefrit.«
»Ich denke darüber nach, weil er eine Frau an seiner Seite braucht. Er wird jemanden brauchen, der ihn bei den täglichen Aufgaben unterstützt, der ihm repräsentative Pflichten abnimmt, der für ihn da ist, der zuhören und schweigen kann, Euer Majestät.«
»Dann geht es dir also um die Macht?«, fragte Meresankh. Ihre Lippen verzogen sich zu einem missfälligen Lächeln.
»Um Macht, Euer Majestät, geht es mir nicht. Ich bin zur Priesterin geweiht worden, ich bin ausgebildeter Schreiber und habe erfolgreich das Studium der Architektur absolviert. Ich bin die Gehilfin meines Vaters Kamose, des Königlichen Bauleiters. Ich koordiniere fünfundzwanzigtausend Bauarbeiter und fünftausend Bäcker, Schmiede, Lagerarbeiter, Hafenarbeiter und Barkenkapitäne. Ich bin bautechnisch verantwortlich für die Residenz und die Pyramide. Ich brauche Rahotep nicht, um jemand zu
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