Die Herrin Thu
gut kannte. Faulig und zugleich süßlich - ich erschrak zutiefst. Der Tod ist im Raum, dachte ich. Er liegt im Sterben. Ramses stirbt wirklich. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mich der Wirklichkeit seiner letzten Krankheit noch nicht gestellt, aber jetzt, als eine Stimme irgendwo über mir rief: „Die Nebenfrau Thu“ und das Echo in der Finsternis verhallte, verlor ich beinahe die Fassung. Er darf nicht sterben, begehrte ich stumm auf. Er ist Ägypten, er ist ein Gott, er ist für mehr Jahre, als ich zählen kann, die Maat gewesen, er ist überall zugegen, im kleinsten Samenkorn auf dem Acker meines Vaters bis hin zum Nil, wenn er ins Große Grün strömt. Sein Schatten hat über jedem Tag meiner Verbannung gelegen. Ramses! Doch dann kehrte mein gesunder Menschenverstand zurück.
„Ist sie es?“ Seine Stimme, schwach, aber vertraut, schmerzte in den Ohren wie eine Ohrfeige. „Sie möge sich erheben und näher treten.“ Ich stand auf, schlüpfte aus meinen Sandalen, schritt zur Estrade, stieg hoch und wollte mich wieder neben das Lager knien. Doch als ich nach unten blickte, überfielen mich die Gefühle so mächtig, daß ich mich nicht rühren konnte.
Er lag in viele Kissen gestützt, den rasierten Schädel schicklich mit einem Leinenkopftuch bedeckt. Seine gewaltige Brust hob und senkte sich unter einem Durcheinander von zerwühlten Laken. Ein nackter Arm lag über dem gewölbten, verborgenen Unterleib. Der andere ruhte schlaff neben seinem Oberschenkel. Im Schein der einzigen Lampe auf dem Tisch neben ihm sah ich, daß sein Gesicht aufgedunsen und schweißbedeckt war. Seine Augen, diese braunen
Augen, an die ich mich so gut erinnerte, in denen immer ein gewitzter Humor funkelte oder die kalt und scharfsinnig mit allerhöchster Autorität blickten, waren jetzt trübe und glasig von Fieber und Erschöpfung, und jäh hatte ich den unabweislichen Eindruck, daß hier ein Mann lag, der sich schlicht verbraucht hatte. Trotzdem sagte sein Blick, daß er mich durchaus erkannte, und kurz darauf hob er eine Hand. „Die Jahre deiner Verbannung haben dich keine besseren Manieren gelehrt, Thu“, rang er sich ab. „Du bist immer nur dir selbst Gesetz gewesen.“ Seine Worte lösten die Spannung, ich fiel auf die Knie, ergriff seine kalten Finger und drückte meine Lippen darauf.
„Es tut mir leid, Majestät“, sagte ich. „Vergib mir. Du hast ja recht. Das macht der Kummer, dich so anzutreffen. Irgend etwas ist über mich gekommen, entweder der Schreck oder der Kummer oder die Erinnerungen, und da habe ich vergessen, dir zu huldigen. Darf ich?“ Ich stand auf und setzte mich auf die Bettkante, beugte mich vor und legte ihm die Hand auf die Stirn. Seine Haut fühlte sich nach hohem Fieber an. „Majestät, hast du gute Ärzte?“ erkundigte ich mich. Er lächelte matt, als ich mich zurückzog.
„Gut oder nicht gut, sie können meine Krankheit nicht heilen“, sagte er. „Sie schwatzen und plappern, aber alle haben Angst, mir die Wahrheit zu sagen. Daß ich nämlich alt bin und sterbe. Ich hatte immer gedacht, du bist ein mutiges Mädchen und ziehst dir eher mein Mißfallen zu, als daß du mich anlügst, aber da habe ich mich getäuscht, nicht wahr?“ Er bewegte sich gereizt.
„Nicht ganz, Majestät“, erwiderte ich. „Ich habe dich nicht angelogen, als ich von Ägyptens Not unter den habgierigen Priestern Amuns sprach, aber mein Motiv war schlecht. Ich habe dich nicht angelogen, als ich dir meine Liebe gestanden habe, aber sie war nicht so groß, wie ich vorgegeben habe. Ich habe nicht gelogen, als ich dich sterben lassen wollte.“ Die geschwollenen, triefenden Augen musterten mein Gesicht.
„Das ist alles so lange her, liebe Thu“, sagte er. „Lange her und jetzt nicht mehr wichtig. Ich bin nicht gestorben. Ich habe mir eingebildet, ich würde dich nicht mehr lieben, nachdem du mir einen Sohn geboren hattest, aber das war ein Irrtum. Ich habe dich fortgeschickt und den Jungen Men gegeben, aber du hast mich bis in meine Träume verfolgt, und ich habe mich schuldig gefühlt, nicht du.“
„Nicht doch“, sagte ich rasch, und unversehens stiegen mir die Tränen in die Augen. „Schuld ist auch mein Bettgenosse geworden, Ramses, und ich habe siebzehn Jahre daraufgewartet, dich um Vergebung bitten zu können. Vergibst du mir, was ich dir, dem Einzig-Einen, angetan habe? Ich hatte den Tod verdient, den du mir zugedacht hattest.“
Es herrschte Schweigen, dann fing er an zu husten. Er tastete nach
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