Die Herrin Thu
mir bei einem Becher Wein Gesellschaft? Wirklich, ein guter Jahrgang aus den Weingärten, die einmal mir gehört haben.“ Zu meinem Erstaunen fühlte ich mich zu ihm hingezogen. Ungeduldig winkte er einem Wachsoldaten, und der fing an, den Knoten an der Tür zu lösen.
„Du mußt nicht annehmen, Herrin Thu“, erinnerte mich mein Begleiter leise, aber Paiis fiel ihm ins Wort: „Aber ja doch. Nur ein verhärtetes Herz könnte die Bitte eines Sterbenden abschlagen.“
„Bleib bei mir“, sagte ich zu meinem Soldaten, und Paiis trat zur Seite und verneigte sich, als ich nach siebzehn Jahren die Zelle betrat, in der ich hätte sterben sollen.
Er hatte kostbare Gegenstände mitgebracht. Zwei Stühle aus Zedernholz mit Intarsien aus Gold und Elfenbein standen nebeneinander vor einem niedrigen Tisch, auch dieser aus Zedernholz und mit einer Tischplatte aus grau-weißem Marmor. Darauf stand ein kleiner goldener Schrein mit geöffneten Türen, so daß die zierliche Statuette von Khonsu, dem obersten Kriegsgott, zu sehen war. Neben dem Schrein lag ein Weihrauchgefäß mit silbernem Griff, und der unausrottbare Gestank der früheren Bewohner wurde von Myrrheduft überlagert. In einer Ecke stand eine hohe Alabasterlampe, die wie eine geöffnete Lotosblüte geformt war. Sein Lager war unter der Fülle dünner Leinenlaken und Kissen kaum noch zu sehen. Ein großer Teppich bedeckte den Boden. Der restliche Raum wurde von mehreren Schüsseln und Schalen eingenommen, in denen sich Gebäck, Süßigkeiten, honigglänzende Trockenfrüchte und eine Auswahl an kaltem Fleisch, Butterröllchen und Brotscheiben türmten. Ich bahnte mir einen Weg durch diese Überfülle zu dem Stuhl, auf den Paiis deutete. Er ließ sich auf dem anderen nieder und bückte sich nach einem ziselierten Silberkrug.
„Ich stürze mich erst im allerletzten Augenblick der allerletzten Stunde des achten Tages in mein Schwert“, sagte er und goß dabei Wein in zwei breite Silberpokale, „und bis dahin genieße ich. Auf deine bemerkenswert gute Gesundheit, Herrin Thu. Mögest du dich in Sicherheit an ihr erfreuen können.“ Er trank, während seine mit Khol geschminkten Augen mich über den Rand des Pokals hinweg musterten, doch ich trank nicht mit. War seine Munterkeit eine Art geistige Verwirrung oder echte Annahme seines Endes? Vermutlich letzteres. Im Thronsaal hatte er vorübergehend die Fassung verloren, als sein Versuch, die Richter umzudrehen, scheiterte und ans Tageslicht kam, doch er hatte die Selbstbeherrschung wiedergewonnen und würde nicht noch einmal schwach werden. Zwar war er lüstern und zynisch, gerissen und klug, aber dennoch ein disziplinierter Soldat und ein Ägypter von Adel. Wenn seine Zeit gekommen war, würde er sich kalt lächelnd das Schwert in den Bauch stoßen.
Er stellte den Pokal ab, lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und wurde wieder sachlich. „Sie weint und schluchzt die ganze Nacht“, sagte er. „Ich höre sie durch die Wand. Ich würde sie ja trösten, aber ich darf meine Zelle nicht verlassen. Sie war einmal ein hübsches Ding mit ihrem unsteten Tänzerinnenleib und ihrer Eigenständigkeit. Wer weiß, was aus ihr geworden wäre, wenn unser Plan, den König zu entmachten, Erfolg gehabt hätte.“
„Du bereust aber auch gar nichts“, meinte ich, und da lächelte er mich an, und seine schönen Züge heiterten sich auf.
„Gar nichts“, sagte er sofort. „Falls Ramses an dem Arsen gestorben wäre, das du Hentmira gegeben hast, damit die Arglose ihn damit salbt, und wenn Banemus getan hätte, was er tun sollte, nämlich das Heer im Süden zum Putsch aufhetzen, wir hätten Ägypten in der Hand gehabt. Hätten die Priester an ihren Platz verwiesen, die wahre Macht unter einem Pharao unserer Wahl erneuert und etwas von dem Reich zurückerobert, das unsere Vorfahren regiert haben.“ Er seufzte. „Es war ein wunderbarer Traum, aber wie die meisten Träume zu flüchtig, um Wirklichkeit zu werden. Ein Jammer. Warum sollte ich bereuen, liebe Thu? Ich bin Ägypter und liebe mein Vaterland.“
„Ist dir nie der Gedanke gekommen, daß die Maat nach deinem Erfolg wahrhaft verderbt gewesen wäre und hätte gerettet werden müssen? Daß sie uns auf ihre Art zu ihren gerechten Zwecken benutzt hat, und falls das nicht erforderlich ist und wir versuchen, sie zu ändern, sie uns wegen unserer Eitelkeit fallenläßt?“
„Thu, die Denkerin“, spottete er zärtlich. „Thu, die Verteidigerin der Gerechtigkeit.
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