Die Herrin Thu
meine Zweifel haben“, sagte ich. „Deine Geschichte ist fesselnd, aber wenn nicht der Mordversuch dazugekommen wäre, hätte ich dir nicht geglaubt.“ Jetzt blickte ich sie an. „So wie es jetzt steht, muß ich dich fragen, wie du die Verschwörer nach so langer Zeit vor Gericht bringen willst. Hast du Freunde in Pi-Ramses?“ „Freunde?“ wiederholte sie. „Nein. Vielleicht die Große Königliche Gemahlin Ast-Amasereth, falls sie noch lebt und den König noch immer mittels ihres Spionagenetzes und ihres politischen Scharfblicks in der Hand hat. Eine Freundin ist sie mir nicht gewesen, aber sie war daran interessiert, daß Ramses den Thron behielt, daher hört sie mich möglicherweise an.“ Thu seufzte. „Doch das ist alles schon lange her. Kann sein, sie ist gestorben oder hat ihre Macht verloren. Ein königlicher Hof hat die gleichen Regeln wie ein kompliziertes Spiel mit Zug und Gegenzug, jedermann kämpft offen oder heimlich um Einfluß und einen Abglanz der Macht des Horusthrones. Tänzerinnen nähern sich und weichen zurück, kommen nach vorn und wirbeln wieder fort. Alte Gesichter verschwinden. Neue nehmen ihren Platz ein.“ Sie legte einen Finger an die Schläfe, eine Geste, die Nachdenklichkeit und Niederlage zugleich ausdrückte. „Die augenblickliche Krankheit des Pharaos ist nichts als Alter, er hat seit Jahren keinen Unfall oder eine ernstere Krankheit gehabt, also gehe ich davon aus, daß die Verschwörer ihren Plan, ihn zu vernichten, aufgegeben haben. Sie leben und gedeihen wie eh und je. Der einzige Beweis gegen sie ist noch immer mein Wort, und ich glaube, niemand erinnert sich mehr an mich. Sie sollen zahlen für das, was sie mir angetan haben, aber ich weiß nicht, wie ich das bewerkstelligen soll. Ich kann nichts weiter tun, als mich Ramses zu Füßen zu werfen und ihn anzuflehen, meine Verbannung aufzuheben. Wenn ich mich an Hui rächen will, muß ich mir schon etwas einfallen lassen.“ Sie warf mir einen scharfen Blick zu. „Du überlegst, was du mit mir anfangen sollst, wenn wir die Stadt erreichen“, sagte sie. „Aber sieh mich an, Kamen. Ich ähnele in keiner Weise mehr der verwöhnten Edelfrau, die ich einst gewesen bin. Ich kann mich auf den Markt setzen und mich als Dienerin verdingen, während ich mir überlege, wie ich vorgehe. Ich verdanke dir mein Leben und habe nicht vor, dir weiter zur Last zu fallen oder dich in Gefahr zu bringen.“
Das waren großherzige Worte, doch es war undenkbar, sie ohne ein Paar Sandalen an den Füßen dem Trubel der großen Stadt auszusetzen. Bei mir zu Hause konnte ich sie nicht als eine unserer Dienerinnen verstecken. Pa-Basts scharfes Auge würde sie irgendwann entdecken. Vielleicht konnte Takhuru ihr Obdach gewähren. Nesiamuns Anwesen war groß, viel größer als unseres, und er hatte im Haus und außerhalb mehr Dienerschaft als wir.
Aber konnte ich sie überhaupt verstecken? Was war mit meinem Kapitän, den Ruderern, dem Koch und seinem Helfer? Würden die irgendwann in einem Bierhaus vielleicht arglos ausplaudern, daß ich gesagt hätte, der Söldner wäre in Aswat geblieben, weil er noch geschäftlich für den General zu tun hätte? Derlei Klatsch mußte Paiis irgendwann zu Ohren kommen. Ich konnte nur hoffen, daß es dazu erst kam, wenn es die Frau in den Palast geschafft hatte.
Sie saß jetzt da und hatte die Stirn auf die geballten Fäuste gelegt, wirkte aber ziemlich ruhig. Vermutlich hatten sie beinahe siebzehn Jahre in Aswat eine geduldige Ergebung gelehrt, die ich erst noch lernen mußte. Falls sie merkte, daß ich sie musterte, so ließ sie sich nichts anmerken. Ich betrachtete ihr gefällig gerundetes Kinn, die gerade Nase, die winzigen Fältchen rings um ihre Augen. Sie hatte sich das wilde Haar hinters Ohr geschoben und dabei einen schlanken Hals entblößt, den die Sonne beinahe schwarz gebrannt hatte, und auf einmal sah ich sie, wie sie ausgesehen haben mußte, als sie die fremdländischen, blauen Augen mit Khol und den Mund mit rotem Henna geschminkt hatte, das Haar weich und schimmernd und von einem edelsteinbesetzten Reifen gehalten. Als ob sie Gedanken lesen könnte, wiederholte sie auf einmal, ohne sich umzudrehen: „Früher bin ich schön gewesen.“
„Das bist du noch“, antwortete ich mit einem Kloß im Hals. „Das bist du noch.“
Sechstes Kapitel
Es war Mittag, als ich der Frau die Hände auf dem Rücken fesselte und sie über die Laufplanke auf den geschäftig wimmelnden Kai führte, an dem
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