Die Herrin von Rosecliffe
Liebesworte gestammelt.
Auch dieses Mal hatte sie vergeblich darauf gewartet, dass er seinerseits von Liebe sprechen würde. Doch inzwischen glaubte sie zu verstehen, warum ihm das so schwer fiel. Sie hatte von ihrer Mutter und von Tante Rhonwen' einiges über sein Leben gehört und wusste deshalb, dass er nie Liebe erfahren hatte. Während sie selbst inmitten einer liebevollen Familie aufgewachsen war, kannte Rhys nur die körperliche Seite der Liebe.
Diesen Teil - die Sinneslust - hatte sie von ihm gelernt. Im Gegenzug wollte sie ihn lehren, wie beglückend eine innige Herzensbindung sein konnte. Das würde nicht einfach sein und viel Zeit in Anspruch nehmen. Wahrscheinlich wollte er nicht einmal sich selbst eingestehen, dass er sie lieben könnte schließlich war sie eine Fitz Hugh, die Tochter und Nichte seiner Erzfeinde! Aber sie zweifelte nicht mehr an seinen starken Gefühlen, auch wenn er ihnen vorläufig nur durch zärtliche Gesten Ausdruck verleihen konnte. An diesem Morgen hatte er sie geweckt, indem er ihren Körper mit sanften Küssen übersäte, und nach dem stürmischen Liebesakt hatte er sie nicht loslassen wollen.
Irgendwann würde er jedoch jene Worte über die Lippen bringen, nach- denen sie sich so verzweifelt sehnte.
Wenn ihnen genug Zeit blieb ...
Doch sie wollte sich die glückliche Gegenwart nicht durch Gedanken an eine düstere Zukunft trüben lassen. Es schien ihr ein gutes Omen zu sein, dass die Wolkendecke nun nicht mehr so dicht wie in den vergangenen Tagen war, dass sogar vereinzelte Sonnenstrahlen auf den Hof fielen und die Schneedecke zum Funkeln brachten. Das warme Frühstück kam ihr an diesem Morgen besonders schmackhaft vor. ja, die Welt war heute schön ...
Und dann wurde ihr Glück durch den Alarm jäh zerstört. Zuerst brüllte jemand auf den Wehrgängen, dann wurde die Glocke geläutet. Gleich darauf hörte Isolde, dass die Zugbrücke quietschend und knarrend hochgezogen und das schwere Tor mit Querstangen verrammelt wurde.
Es gab keinen Zweifel: die Fitz Hughs waren zurück!
Eigentlich hätte Isolde grenzenlos erleichtert über die Rückkehr ihres Vaters und Onkels sein müssen. Endlich würde Rosecliffe Castle von den Schurken befreit werden! Noch vor einer Woche hätte sie gejubelt doch jetzt war ihr eher nach Weinen zumute. Noch nicht, noch nicht!, schrie ihr Herz.
Es war ihr fast gelungen, die Tatsache zu verdrängen, dass Rhys ihr Feind war und Menschen vernichten wollte, die sie liebte. Und sie hatte von ganzem Herzen gehofft, dass ihr genug Zeit bleiben würde, um seine Rachegelüste zu lindern und ihn Liebe zu lehren.
Doch die Alarmglocke - und die kalte Maske, in die sich Rhys' soeben noch entspanntes Gesicht daraufhin verwandelte - machte alle Hoffnungen zunichte. Der Tag, den sie anfangs so herbeigesehnt hatte, war angebrochen. Bald würde jemand, den sie liebte, sterben. Das war der Anfang vom Ende ihres Lebens ...
Rhys lauschte dem Bericht des Wachpostens und verließ eilig die Halle, gefolgt von den meisten walisischen Männern - egal ob Soldaten oder Dienstboten. Die Frauen blieben zurück und warfen Isolde verstohlene Blicke zu. Wahrscheinlich wussten - oder vermuteten - alle, dass sie sich Rhys hingegeben hatte. Doch niemand ahnte, dass sie dabei auch ihr Herz an ihn verloren hatte ...
Was erwarteten sie jetzt von ihr? Dass sie Rhys aufgab? Oder dass sie ihre Familienbande zerschnitt? Oder wollten sie nur sehen, ob sie an dem Konflikt zerbrach?
Isolde presste die Lippen fest zusammen, damit sie nicht zitterten, - und schaute in die Runde. Besorgte Gesichter, verwirrte Gesichter, neugierige Gesichter - doch einige wenige Augenpaare waren auch hoffnungsvoll auf sie gerichtet.
Hoffnungsvoll?
Was erhofften diese Menschen sich von ihr? Glaubten sie, ihr könnte es gelingen, Frieden zu stiften? Isolde knetete nervös ihre Hände. Manchmal war es auch ihr möglich erschienen, doch Rhys' Gesichtsausdruck nach dem Alarm hatte sie entmutigt. Trotzdem konnte sie nicht untätig bleiben, während die Welt um sie herum zusammenbrach. Deshalb schnappte sie sich ihren Umhang vom Haken an der Wand und wollte gerade aus der Halle eilen, als Tillo ihren Namen rief.
»Ich befürchte, dass sie dir das Herz brechen werden, Kind. Dein Vater und dein Geliebter werden dir das Herz brechen.« Die alte Frau kam hinter einem Pfeiler hervor. »Das können Männer nämlich am besten«, fügte sie kopfschüttelnd hinzu.
Heiße Röte schoss in Isoldes Wangen. »Was verstehst
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