Die Herrin von Rosecliffe
ihre Erstgeborene, aber auch um Rhys. Durfte sie ein solches Risiko eingehen?
Eine kleine Gestalt näherte sich auf der schlammigen Straße. Ein Kind? Doch als Josselyn die Augen zusammenkniff, erkannte sie Newlin.
Newlin! Erleichtert presste sie ihre Hände auf den Mund. Newlin würde wissen, was zu tun war. Und sein früher Besuch konnte nur bedeuten, dass er ihr etwas Wichtiges mitzuteilen hatte. Josselyn öffnete ihm rasch die niedrige Tür. Ein feuchter Windstoß fegte ins Zimmer, während der alte Barde mühsam über die Schwelle humpelte. Er begrüßte sie mit seinem süßen kindlichen Lächeln, nahm auf einem Hocker Platz, lehnte aber den Tee ab, den sie ihm zum Aufwärmen anbot.
»Es ist soweit, mein Kind«, sagte er. »Das Ende des Winters ist nahe. Erinnerst du dich noch daran, wie ich dir diese Worte auf Englisch und Französisch beibrachte?«
Josselyn nickte. »Ja. Seitdem sind mehr als zwanzig Jahre vergangen, aber ich bin dir immer noch sehr dankbar für deinen Unterricht. Dass ich diese Fremdsprachen beherrsche, War für mich immer von unschätzbarem Wert zuletzt auf unserer Reise nach London. Doch jetzt bin ich wieder zu Hause, in Cymry«, fuhr sie seufzend fort »und muss einen Landsmann als Feind betrachten, obwohl ich ihn viel lieber wie einen guten Freund behandeln würde.«
»Das Ende des Winters ist nahe«, wiederholte Newlin ruhig.
»Das Ende des Winters? Aber es ist noch nicht einmal Weihnachten.«
Der Barde lächelte nur, so als wolle er Josselyn ermutigen, nach dem versteckten Sinn seiner Worte zu suchen, Meinte er vielleicht dass das Ende der Zwistigkeiten um Rosecliffe Castle nahe war? Sie kniete vor ihm nieder und griff nach seinen verkrüppelten Händen. »Er wird ihr nichts zuleide tun, oder? Ich kann einfach nicht glauben, dass Rhys meine Tochter verletzen könnte, selbst wenn er vor Wut kochen sollte.«
»Nein, er wird ihr nichts zuleide tun«, bestätigte Newlin.
»Nicht einmal, wenn heute niemand zum Zweikampf gegen ihn antritt? Wenn seine Rache an Rand und Jasper auf irgendeine Weise. vereitelt wird?«
Der weise kleine Mann tätschelte ihre Hände. »Du kannst diese Konfrontation nicht ewig hinausschieben, Kind. Vielleicht ist sie notwendig, damit eine Jahreszeit sterben und endlich eine neue geboren werden kann.«
»Es ist nicht der Tod einer Jahreszeit der mir Sorgen bereitet sondern der Tod von Menschen, die ich liebe!«, rief Josselyn, sprang auf und lief nervös im Zimmer hin und her. »Sag mir eines liebt er sie? Er hält Rosecliffe bereits seit zwei Wochen besetzt und hat ihr nichts zuleide getan - jedenfalls behauptet Isolde das.« Sie blieb stehen und warf ihrem alten Freund einen fragenden Blick zu. »Ist er mit ihr ins Bett gegangen?«
Der Barde zwinkerte mit einem Auge. »Man munkelt so allerlei ... «
Josselyn kaute an der Unterlippe, während sie über diese Neuigkeit nachdachte. Es schockierte sie nicht allzu sehr, dass Isolde ihre Unschuld verloren hatte wenn das Mädchen es selbst gewollt hatte!
»Sie hat es selbst gewollt«, sagte Newlin, der die seltene Gabe besaß, Gedanken zu lesen. Er stand auf und streckte seine Hände dem Feuer entgegen. »Josselyn, ich habe eine Bitte an dich.«
Ihre Gedanken kreisten noch um die Tatsache, dass Isolde von Rhys entjungfert worden war, deshalb dauerte es einen Moment, bis sie auf Newlins Worte reagierte. »Eine Bitte? Worum handelt es sich?«
Der Barde starrte ins Feuer. »Um eine Frau, die zusammen mit Rhys nach Rosecliffe gekommen ist. Eine alte Frau namens Tilly, die sich allerdings Tillo nennt und als Mann ausgibt.«
Josselyn hob neugierig die Brauen. Als Newlin daraufhin leicht errötete, konnte sie es kaum glauben. Noch nie hatte sie ihren alten Freund verlegen erlebt. War es möglich, dass dieser Einzelgänger sich verliebt hatte? »Ihr Name ist also Tilly?«, fragte sie völlig verblüfft.
Er nickte. »Sie braucht dringend ein Zuhause, und obwohl sie das abstreitet weiß ich, dass sie sich in Rosecliffe sehr wohl fühlt.«
Josselyn verspürte plötzlich ein Prickeln in allen Gliedern. »Heißt das ... heißt das, dass ich bald wieder in der Lage sein werde zu entscheiden, wer sich in Rosecliffe aufhalten darf und wer nicht?«
Der Barde schaute sie schmunzelnd an. »Eigentlich wollte ich das nicht offenbaren, aber wie ich sehe, ziehst du noch genauso scharfsinnige Schlussfolgerungen wie früher. Dein kluges Köpfchen hat mich schon beeindruckt, als du noch ein kleines Mädchen warst.«
Josselyn
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