Die Herrin von Rosecliffe
machen zu können. Rhys w ü rde sie nicht gehen lassen, das war ihr klar, aber immerhin konnte sie ihm beweisen, dass sie sich nicht einschüchtern und herumkommandieren ließ.
Sie erreichte die Tür, riss einen Flügel weit auf, trat über die Schwelle, eilte die Stufen hinab, blieb auf dem Hof kurz stehen und schaute sich um. Wohin jetzt? Das Tor war geschlossen, aber nicht verbarrikadiert deshalb hastete sie dorthin.
»Ihr dürft die Burg nicht verlassen!«, rief ein Mann ihr auf Walisisch vom Wachturm zu. »Niemand darf sie verlassen.«
»Ach, hol dich der Teufel!«, murmelte Isolde mit rasendem Herzklopfen. Wollte Rhys sie entkommen lassen? Verwirrt stemmte sie sich mit aller Kraft gegen das schwere Tor.
Der Wachposten rannte die Treppe hinab. »Ihr dürft die Burg nicht verlassen«, brüllte er wieder und kam drohend auf sie zu.
»Wenn. du mich anzurühren wagst kratz ich dir die Augen aus!«, zischte Isolde bösartig und meinte die Drohung in diesem Moment völlig ernst.
Der Mann fuhr sich mit einer schmutzigen Hand über den Mund und schüttelte den Kopf. »Ich darf Euch nicht gehen lassen«, beharrte er.
Das schwere Eichentor öffnete sich einen Spalt weit. Ermutigt warf Isolde sich noch fester dagegen. Der Wächter packte den Holzrahmen und zog in der Gegenrichtung.
»Weg! Mach, dass du wegkommst!«, kreischte Isolde wie eine Irre. Nur noch wenige Zentimeter, dann könnte sie entkommen ...
»Geh wieder auf deinen Posten, Tadd. Ich kümmere mich um diese Angelegenheit.«
Isolde zuckte zusammen, als sie die verhasste Stimme hörte, drehte sich aber nicht nach Rhys um, sondern verdoppelte ihre Bemühungen, das Tor zu öffnen.
»Vielleicht sollte ich mit dir das gleiche Gespräch führen wie mit Osborn«, sagte er kalt. Sein Ton war unerträglich arrogant. Über ihrer Schulter streckte er den Arm aus und drückte das Tor weit auf. »Ich habe ihm gesagt deine Sicherheit würde von seinem guten Benehmen abhängen«, murmelte er dicht an ihrem Ohr.
Isolde erstarrte zur Salzsäule. Die Zugbrücke war heruntergelassen. Dahinter führte eine Straße den felsigen Hügel hinab zur Ortsmitte. Sie konnte den Brunnen auf dem Dorfplatz sehen. Die Strohdächer der Häuser aus Holz und Lehm glänzten in der Morgensonne. Aus den Schornsteinen stieg Rauch auf. Alles war wie immer. Das vertraute Bild schnürte ihr die Kehle zu. Die Versuchung, dorthin zu flüchten, war schier übermächtig. Doch Rhys hatte eine unmissverständliche Drohung ausgestoßen ...
»Willst du damit sagen, dass du Osborn für meine Handlungen bestrafen würdest?«, brachte sie mühsam hervor.
»Selbstverständlich. Das ist der Sinn einer Geiselnahme.« Rhys winkte in Richtung der Ortschaft. »Du hast die Wahl.«
Langsam wandte sie ihren Blick vom Dorf ab und starrte den Mann an, der sie überlistet und ihr die Unschuld geraubt hatte. »Ich habe die Wahl? Dass ich nicht lache! Du würdest mich doch nie gehen lassen.«
»Du irrst dich, Isolde«, erwiderte Rhys. »Ich überlasse es wirklich dir, was du tun willst - hauptsächlich aus Neugier, wie ich gestehen muss. Wirst du hier bleiben und das Schicksal deiner Landsleute teilen? Oder wirst du fliehen und Osborn und all die anderen für deine Flucht büßen lassen?« Er deutete wieder auf das Dorf. »Geh - geh, wenn du willst!«
Und wie sie das wollte! Sie wünschte sich verzweifelt Rhys zu entfliehen, aber sie traute ihm nicht. Noch wichtiger war freilich, dass sie Osborn nicht irgendwelchen zusätzlichen Grausamkeiten aussetzen durfte. Das würde sie sich nie verzeihen.
»Was hast du mit ihm vor?«
Er lächelte und zeigte dabei seine schönen weißen Zähne. »Das kann dir doch egal sein.« Seine nachtschwarzen Augen musterten sie unverschämt von Kopf bis Fuß, was ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Sein Blick war so wissend, so besitzergreifend ... Das war derselbe Mann, dem sie sich vergangene Nacht bereitwillig hingegeben hatte, der fahrende Sänger, in den sie so verliebt gewesen war! Aber er hatte sich als walisischer Rebell entpuppt und sie hasste ihn jetzt noch viel mehr als vor zehn Jahren.
Isolde kehrte dem Dorf, das Freiheit versprach, energisch den Rücken zu und betrachtete stattdessen den Burghof. Rosecliffe Castle war ihre Heimat - und jetzt ihr Gefängnis! Sie holte tief Luft und sah Rhys trotzig an. »Ich bin weder feige noch verantwortungslos und werde deshalb hier bleiben. Außerdem« - fügte sie bitter hinzu - »hast du gar nicht die Absicht mich gehen zu
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