Die Herrin von Rosecliffe
Hunger gehabt weiter nichts.«
Ein Muskel in Rhys' Kinn zuckte, was Isolde trotz ihrer Furcht bemerkte, und sie konnte ihm ansehen, dass er seinem Landsmann nicht glaubte und vor Wut über dessen Benehmen kochte. Auch Dafydd musste das bemerkt haben, denn er wich vorsichtshalber einen Schritt zurück.
Isolde war völlig verwirrt. Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Sie - eine Gefangene - hatte einen ihrer Wärter niedergeschlagen, und Rhys ergriff trotzdem für sie Partei!
Seine nachtschwarzen Augen schweiften von Dafydd zu ihr zurück. »Schluss mit diesem ganzen Blödsinn!«, knurrte er. »Verbind ihm den Kopf, begib dich dann in die Halle und setz dich wie immer an euren Familientisch.« An Dafydd gewandt fügte er hinzu: »Du lässt dich von ihr verarzten, bevor du zum Mittagessen kommst.«
Mit einer gebieterischen Geste verscheuchte er die neugierigen Zuschauer und entfernte sich. Isolde blickte ihm verblüfft nach. Sie wurde aus diesem Mann einfach nicht klug, aber eines hatte dieser Vorfall ihr klargemacht: er duldete keine eigenmächtigen Handlungen seiner »Untertanen«, was immerhin beruhigend war.
Dafydd hob den Spaten auf und schleuderte ihn wütend durch den Garten. Obwohl sie ihn verabscheute, konnte Isolde sich gut in ihn hineinversetzen.
»Komm mit«, murmelte sie.
»Ich brauch deine Hilfe nicht«, brummte er. »Und merk dir was, du Luder - ich vergess nicht, was du mir angetan hast! «
Isolde kehrte ihm mit geblähten Nasenflügeln den Rücken zu und ging in Richtung der Vorratskammern. Seine Drohung hallte in ihren Ohren wider. Dieser Mann war jetzt ihr erbitterter Feind -aber war sie nicht sowieso seit der letzten Nacht nur noch von Feinden umgeben? Als Dafydd wenige Minuten nach ihr in der Vorratskammer auftauchte, obwohl er soeben noch ihre Hilfe verschmäht hatte, bestätigte das nur ihren Eindruck, dass Rhys ap Owain mit eiserner Faust herrschte. Ein strenger Blick von ihm, eine gehobene Augenbraue, ein mild formulierter. Befehl -und seine Männer gehorchten ihm! Dabei brauchte er ihnen nicht einmal direkt zu drohen. Sein Auftreten war beredter als Worte. Tut, was ich euch sage, oder tragt die Konsequenzen, lautete die unausgesprochene Botschaft.
Trotzdem wusste Isolde, dass sie vor Dafydd auf der Hut sein musste. Seine lüsternen Blicke verursachten ihr eine Gänsehaut, und ihre Hände zitterten ein wenig, während sie zerstampfte Erlenrinde und Wundkraut in einer kleinen Schale vermischte und etwas Öl und geschmolzenes Bienenwachs hinzufügte.
»Hier.« Sie stellte die Schale auf einen Tisch, daneben eine Schüssel Wasser und weiche Seife. »Säubere die Wunde und trag dann die Heilsalbe auf.«
Er grinste mit gebleckten Zähnen. »Mach du das doch!«
»Darauf kannst du lange warten«, fauchte Isolde. ihr graute bei der bloßen Vorstellung, diesem schmierigen Kerl nahe zu kommen oder ihn gar zu berühren. Nach kurzem Zögern begann er sich selbst zu waschen und zuckte unwillkürlich vor Schmerz zusammen.
»Es tut mir Leid«, murmelte Isolde. Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, denn dieser widerliche Waliser trug selbst die Schuld an seiner Verletzung, aber vielleicht konnte sie ihn etwas versöhnlicher stimmen. In ihrer Situation war es unklug, sich mehr Feinde als unbedingt notwendig zu machen.
Dafydd schaute sie finster an.
»Ich sagte, dass es mir Leid tut«, wiederholte Isolde. »Hat dir nie jemand Manieren beigebracht?«
Er starrte anzüglich auf ihre Brüste. »Leid tut's dir also? Ich wüsst schon, wie du das wieder gutmachen könntest ... «
Isoldes flüchtige Anwandlung von Mitgefühl ertrank in abgrundtiefem Abscheu. »Ich hoffe, dass deine Wunde sich entzündet und dein Kopf langsam verfault!« Sie riss die Tür auf, biss die Zähne zusammen und verließ hoch erhobenen Hauptes die Vorratskammer. Inwendig kochte sie jedoch vor ohnmächtiger Wut. Sie hasste diesen primitiven Kerl! Sie hasste all diese so genannten Rebellen und am allermeisten ihren Anführer!
Aber sie durfte sich jetzt nicht gehen lassen. Sie durfte weder ihre Angst noch ihre Erschöpfung zeigen, sondern musste tapfer sein und ihre Gefühle verbergen, denn die Verantwortung für so viele unschuldige Menschen ruhte allein auf ihren schmalen Schultern.
Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als sie die Halle betrat wo sofort alle Gespräche verstummten. Dutzende Gesichter wandten sich ihr zu, Dutzende Augenpaare waren auf sie gerichtet. Verstörte, eingeschüchterte Mienen oder
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