Die Herrin von Rosecliffe
Junge!«, brüllte Rhys mit geballten Fäusten.
Andere Männer hätten sich von dieser Drohgebärde einschüchtern lassen - nicht so Newlin. »Nein, du bist kein Junge mehr«, sagte er begütigend. »Jedenfalls nicht, was deine Muskelkraft und die geschickte Handhabung des Schwertes betrifft. Doch in manch anderer Hinsicht erinnerst du mich an den wilden, unbeherrschten Jungen von einst. Du bist nach wie vor Owains Sohn.«
»Und das werde ich immer sein!«, schwor Rhys mit erhobenem Schwert.
Newlins Blick ruhte lange auf der funkelnden Klin-ge. »Wie schon gesagt - jeder Mensch besitzt einen freien Willen. Ich kann nur hoffen und beten, dass du weisere Entscheidungen als dein Vater treffen wirst.«
Josselyn schaute kaum auf, als der Kurier sich ihrem Mann näherte, stieß nur inwendig einen tiefen Seufzer aus. Es handelte sich zweifellos um eine weitere Einladung zu irgendeiner Feier oder einer geheimen Besprechung. Obwohl sie sich erst seit drei Tagen in London aufhielten, hatte Josselyn schon mehr als genug von den politischen Machenschaften, die der Krönung des ehrgeizigen jungen Königs vorangingen. Als zwei der mächtigsten Lords in den walisischen Grenzgebieten wurden Rand und sein Bruder Jasper besonders hofiert worüber ihre Frauen -Josselyn und Rhonwen - alles andere als erfreut waren.
Hinzu kam noch, dass Rand gestern erfahren hatte, dass sein älterer Bruder John, der immer ein ausschweifendes Leben geführt hatte, vor zwei Wochen kinderlos gestorben war. Und das bedeutete, dass Rand den Besitz erbte und von nun an den Titel Lord of Aslin tragen durfte.
Josselyn hatte diese Neuigkeit mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Trotz ihrer walisischen Herkunft waren auch sie und Rhonwen schon in den Sog des turbulenten Hoflebens geraten, und als Lady Aslin würde sie noch wesentlich mehr gesellschaftliche Verpflichtungen aufgebürdet bekommen, die ihr bisher wenig Spaß bereiteten. Sie fand den ganzen Aufwand, der in London getrieben wurde, sehr übertrieben und mitunter sogar lächerlich. Allerdings hatte Rand ihr versichert dass es auch bei Hofe nicht immer so hektisch wie jetzt zuging, dass nach der Krönung mehr Ruhe einkehren würde.
Immerhin war König Heinrichs Gemahlin, die schöne Eleanor, eine Persönlichkeit - intelligent und weltgewandt. Diese Frau würde einen starken Einfluss auf ihren jüngeren Mann ausüben, davon war Josselyn überzeugt - und sie fand das sehr positiv.
»Irgendwas stimmt nicht«, murmelte Rhonwen und knuffte ihre Schwägerin mit dem Ellbogen in die Rippen.
Josselyn war gerade damit beschäftigt drei bunte Bänder zu einem Haarschmuck für Gwen zu verflechten, die an diesem Abend der Königin vorgestellt werden sollte. »Was gibt's denn?«, fragte sie zerstreut. »Wahrscheinlich beschwert sich wieder irgendein Idiot darüber, keinen Ehrenplatz an der Tafel bekommen zu haben.«
Doch ihr Sarkasmus verflog schlagartig, als sie sah, dass Rand den Kurier an der Gurgel packte, so als wollte er ihn erwürgen. Sie ließ die modischen Bänder fallen und sprang erschrocken auf.
»Wie konnte das passieren?«, brüllte Rand und schüttelte den zitternden Mann. »Rosecliffe ist eine uneinnehmbare Festung!«
»Ja, Mylord, aber ... aber er hat alle überlistet ... «
»Osbom ist doch kein Narr, der auf irgendwelche Tricks hereinfällt! «
»Rand!«, rief Josselyn. »Was ist geschehen?«
Er drehte sich mit aschfahlem Gesicht nach ihr um. Nur seine Augen funkelten vor Zorn - und vor Angst.
»Lady Isolde ist ... ist unversehrt«, stammelte der arme Kurier, der kaum Luft bekam. »Alles ging fast gewaltlos vonstatten. Es gab weder Tote noch Schwerverletzte.«
»Isolde?« Josselyns Herzschlag setzte aus. »Allmächtiger, was ist passiert?« Sie packte Rand am Arm. »Sag mir, was in Rosecliffe passiert ist?«
»Es war Rhys ap Owain.« Er ließ den unschuldigen Boten los und starrte stattdessen seinen Bruder Jasper in blinder Wut an. »Dieser Hundesohn ..Ach hätte ihn vor zehn Jahren hinrichten lassen sollen! Ich hätte niemals auf dich hören dürfen!«
Jasper versteifte sich und ballte die Fäuste. Rhonwen legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm, doch das erwies sich als überflüssig, denn sein Zorn galt nicht dem älteren Bruder, der ihm Vorwürfe machte, sondern ihrem gemeinsamen Feind. »Wenn der Kerl Isolde auch nur ein Haar gekrümmt hat bringe ich ihn um!«, schwor er und wirbelte zu dem Kurier herum, der ängstlich bis zur Tür zurückwich. »Erzähl uns alles -
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