Die Herrin von Rosecliffe
sie sich: er war klein und alt. Kein Wachposten!
Und auch kein Mann!
»Tillo?«, rief sie leise, grenzenlos erleichtert.
Die Gestalt blieb stehen. »ja, ich bin's, Kind«, antwortete sie ruhig, so als hätte sie damit gerechnet Isolde mitten in der Nacht hier draußen zu treffen. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Tillo. Mir ... mir geht es gut. «
»Man hat mir erzählt, dass du seit drei Tagen nicht in der Halle warst.«
»Das stimmt.«
»Ich könnte wetten, dass du nicht freiwillig darauf verzichtet hast.«
Isolde gab keine Antwort. Wenn sie das Wandgemälde, das Rhys so bewundert hatte, nicht zerstört hätte, wäre sie nicht ins Turmzimmer verbannt worden.
Tillo kicherte grimmig. »Drei Tage im Turm eingesperrt ... Aber jetzt hältst du dich plötzlich sogar außerhalb der Burgmauern auf. Seltsam! Bist du auf der Flucht vor ihm?«
Wieder antwortete Isolde nicht. ja, sie war weggelaufen, aber wie sollte sie Tillo die Gründe für diese Flucht erklären? Sie wusste ja selbst nicht genau, was sie dazu getrieben hatte. »Ich ... ich möchte nicht ' dass hier eine Schlacht stattfindet«, murmelte sie nach langem Schweigen. »Du hast gesagt dass du mir helfen würdest zu entkommen.«
»Ach, Kind, ich dachte anfangs, du könntest diesen Kampf verhindern, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Es ist Schicksal, befürchte ich.« Seufzend setzte die alte Frau sich auf einen großen Kalkstein neben dem Tor. »Männer lieben es zu kämpfen. Das liegt offenbar in ihrer Natur. Die Männer kämpfen - und die Frauen weinen um sie. «
Isolde lief vor Tillo auf und ab und rang ihre Hände. »Aber auch wir Frauen können kämpfen! Nicht auf dieselbe Art und Weise wie Männer. Nicht mit Schwertern. Trotzdem können wir die Männer manchmal zwingen zu tun, was wir wollen.«
Tillo, lachte unfroh. »Du glaubst also, du könntest Rhys zwingen, das größte Ziel seines Lebens aufzugeben, indem du vor ihm fliehst?«
»Nein, nein!« Isolde schüttelte unglücklich den Kopf. »Ich will meinen Vater suchen. Wenn ich ihn finde, kann ich ihn vielleicht überzeugen ... « Sie verstummte, weil ihr selbst klar wurde, wie unrealistisch dieser Plan war, und machte eine hilflose Geste. »Was kann ich denn sonst tun?«
»Ich frage mich, was das Richtige ist«, sagte Tillo. »Wenn uns eine Entscheidung sehr schwer fällt übersehen wir oft die einfachste Lösung. Du musst tun, was richtig ist Isolde - und bereit sein, die Konsequenzen zu tragen.«
»Aber was ist richtig? Wer hat in diesem Fall Recht?«
Die alte Frau schwieg lange, stand mühsam auf und taumelte ein wenig. Isolde packte sie schnell bei der Schulter, damit sie nicht stürzte. Tillos Gesicht sah sehr müde und traurig aus. »Ich habe keine Antworten für dich, Isolde. Ich habe selbst nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen und bin deshalb nicht besonders gut geeignet dir irgendwelche Ratschläge zu geben. Nur eines kann ich dir raten - such dein Herz! Such dein Herz und fürchte den Schmerz nicht. Auf dieser Welt zu leben bedeutet Schmerzen zu ertragen, Das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
Tillo ging langsam auf das schmale Tor in der Mauer zu. Isolde blickte ihr nach, noch verwirrter als zuvor. Was sollte sie mit diesem Rat anfangen? Wie suchte man sein Her z?
Sie drehte sich um u nd starrte in die Dunkelheit aufs Meer hinaus, das im Mondschein silbrig schimmerte. Sie war mitten in der Nacht aus ihrem Bett geflüchtet weil sie Angst vor ihren eigenen Gefühlen bekommen hatte. Rhys wusste jetzt zu viel von ihr, kannte all ihre geheimen Wünsche und Leidenschaften, und sie würde ihm vor Scham bei Tag nicht in die Augen schauen können. Deshalb hatte sie seinen festen Schlaf ausgenutzt um zu fliehen. Sie brauchte jetzt nur noch den Pfad zur Küste hinabzusteigen, unbemerkt nach Carreg Du zu gelangen und den Weg -einzuschlagen, auf dem ihr Vater zurückkehren würde.
Doch selbst wenn ihr das alles gelang - was würde sie damit erreichen? Ihr Vater würde Rosecliffe Castle niemals kampflos aufgeben, selbst wenn sie ihn auf Knien anflehte. Und er hatte das Recht auf seiner Seite.
Doch auch Rhys glaubte das Recht auf seiner Seite zu haben, und Isolde konnte ihn inzwischen sogar ein wenig verstehen. Dies hier war immer walisisches Land gewesen - Hunderte von Jahren, Tausende von Jahren ... Diese Hügel, Täler, Felsen und Flüsse wurden erst seit relativ kurzer Zeit von England beansprucht und für Rhys
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