Die Herrin von Sainte Claire
lohnten. »Ich war gut genug, Eure Haut zu retten.«
»Das ward Ihr«, gab Rorik lächelnd zu.
Sie stolperte auf die Beine und stützte sich dabei schwer an seinen starken Körper. Es war mitten in der Nacht.
»Ihr müßt eine kleine Wegstrecke reiten«, erklärte ihr Rorik sanft. »Ich will nicht zugegen sein, wenn das Räubergesindel zurückkehrt.«
»Ja«, pflichtete sie ihm bei. Ihre Stimme wackelte etwas, trotz ihrem Bemühen stark und fest zu klingen.
Zum ›Wilden Eber‹ war es nur ein kurzer Ritt. Dort erwarteten sie ein überraschend sauberes Bett und eine köstliche Schüssel mit Wildbraten. Alaine nahm nur ein paar Bissen und wusch flüchtig den ärgsten Dreck ab, ehe sie auf die weiche Matratze sank. Sie fühlte sich elend und benommen. Dankbar kuschelte sie sich an Roriks harten, warmen Körper, als er die Kerzen ausblies und zu ihr unter die Decke kroch.
Langsam sank sie in Schlaf, eingelullt durch Roriks gleichmäßigen Atem und dem kräftigen Schlag seines Herzens, dicht unter ihrer Wange. Sie lächelte beglückt. Er hatte doch nach ihr gesucht, dachte sie noch zufrieden.
18
Eine weiße Frostschicht bedeckte die Bäume bis weit in den Tag hinein. Dunst und tiefliegende Wolken überzogen das Land gleich einer düsteren Decke und hüllten die Wiesen und Wälder in kalte, winterliche Stille. Dichter Nebel und eisiger Nieselregen gingen ineinander über. Den Menschen auf der Burg und in den Dörfern fröstelte es ständig in der feuchten Kälte bis ins Gebein.
Zur Weihnachtszeit wurde eine große Gästeschar auf Ste. Claire erwartet, denn Garin und zwei weitere Knappen sollten einen Tag nach Heiligabend in den Ritterstand erhoben werden. In den trüben Wintertagen freuten sich die Menschen auf dem Lande, ob Herr oder Knecht, auf jede Gelegenheit, ein fröhliches Fest zu feiern. Wiederum wurden die Gemächer unter dem großen Saal gesäubert und das Feuer in den Kaminen geschürt. Maudie und ihre Gehilfen legten sich wieder für den guten Ruf von Ste. Claire ins Zeug und zauberten aus den kargen Beständen der Vorratskammern die köstlichsten Leckerbissen. Diesmal jedoch, in Anbetracht der Jahreszeit und der schlechten Ernte in den letzten zwei Jahren, erschienen die Gäste vollbeladen mit Gaben aus ihren eigenen Speisekammern. Es bestand also keinerlei Gefahr, daß diese Weihnachten irgend jemand hungrig bleiben würde. Auch die Landbevölkerung sollte die Geburt Christi freudig gestimmt begehen können, und so entsandte Alaine Reiter mit Geschenken für die Dörfer und Höfe im Umkreis von Ste. Claire.
Während des ganzen Trubels bei den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest und der darauffolgenden Schwertleite, fand Alaine kaum die Zeit, an ihre eigene Familie zu denken. Doch bemerkte sie wohl die freudig geröteten Wangen Mathildes, als Garins großer Augenblick immer näherrückte. Mit gemischten Gefühlen entdeckte sie auch an Gunnor eine strahlende Heiterkeit. Sie kannte den Grund für die ungewöhnlich gute Laune ihrer älteren Stiefschwester sehr wohl, denn Gilbert de Prestot befand sich unter den Burggästen. Ganz offensichtlich machte er der jungen, hübschen Witwe den Hof. Alaine mißgönnte Gunnor nicht ihr Glück, doch hegte sie ernsthafte Zweifel an der Lauterkeit der Absichten Gilberts.
Heiligabend war eine kristallklare Nacht. Alle Menschen auf der Burg, gleich ob Adel, Sklave oder Leibeigener, ritten oder gingen in friedlicher Eintracht zu Fuß. In einem fröhlichen Zug schritten sie zur Dorfkirche über den Fluß, wo sie sich zu den Dorfbewohnern von Ste. Claire gesellten, um die Geburt des Heilands zu feiern. Die Nacht flimmerte hell von den unzähligen Fackeln und großen Freudenfeuern auf den Hügeln. Ochs, Kuh und Esel waren in der Kirche untergebracht, Symbole für die Geburt Jesu in einem ärmlichen Stall.
Die Kirche war überhitzt, der Tiergeruch mengte sich mit den Ausdünstungen der zusammengedrängten Menschen. Doch Alaine sang freudig und glücklich mit den anderen die Antwortstrophen der Weihnachtsgeschichte. Vor einem Jahr war ihr Vater noch am Leben gewesen und neben ihr in der Kirche gestanden. Sie entsann sich, wie Pater Sebastian die Christmette hielt und er mit seiner kräftigen Stimme die Antwortstrophen geschmettert hatte.
Am ersten Weihnachtsabend wurde ein Fest von feierlichem Ernst begangen. Man führte Garin und seine beiden Genossen in die Kapelle, wo sie in Vorbereitung auf ihre Schwertleite die Nacht betend vor dem Altar verbrachten. Alaines Herz
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