Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra
kommen.
»Wir können nicht Alarm schlagen!«, rief sie.
»Was?«, fragte die rechts von ihr.
»Wenn wir die Glocke läuten, senken sich die Gitter, und die Türen und Fenster verschließen sich. Das Nest ist dazu gedacht,
ein gewaltsames Eindringen von außen zu verhindern. Wenn die Gitter fallen, verwandeln wir die Festung in ein Gefängnis für die, die drinnen sind.«
»Bei den Gebeinen!«, rief die Walküre links von ihr. »Daran hatte ich nicht gedacht!«
Gemeinsam stiegen sie höher und lenkten ihren Flug über die Spitze des Glockenturms hinweg.
»Trotzdem müssen wir da rein«, rief die Walküre neben ihr. »Ich sehe zwar keinen Grund, warum die Menschen das tun sollten, aber wir müssen sicherstellen, dass sie nicht die Glocke läuten können. Abgesehen davon schlägt vielleicht eine von uns aus Instinkt Alarm, so wie wir es beinahe getan hätten.«
Sie nahmen ihre vorherige Formation wieder ein und schossen erneut auf die offenen Fenster zu. Zu ihrem Schrecken waren allerdings inzwischen zwei der drei Fackeln auf den Boden gefallen. Ein Himmelsdrache stand unter dem Glockenseil einem einzelnen Menschenmädchen gegenüber. Die anderen beiden Menschen lagen mit aufgeschlitzten Eingeweiden auf dem Boden. Blitzschnell sprang die Walküre hoch und trat mit den scharfen Hinterklauen zu, womit sie dem letzten Mädchen einen üblen Schnitt quer über die Kehle beibrachte. Das Mädchen brach zusammen, und ihre Fackel und das Schwert fielen klappernd zu Boden.
Es waren nur noch wenige Dutzend Schritt bis zum offenen Fenster. Ein Schrei entfuhr Arifiels Kehle.
»Nein!«
Aber es war zu spät. Die Walküre hatte bereits nach dem Glockenseil gegriffen. Arifiels Schrei ging unter im Klang der prächtigen Eisenglocke. Arifiel lenkte ihren Flug nach links vom Turm weg und wich dem Fenster aus, während sich die stille Nacht mit dem Rumpeln von tausend Rädern und Ketten füllte, die in Bewegung gerieten. In wenigen Augenblicken
würde die Festung versiegelt sein, und sämtliche Drachen im Innern würden der Gnade der Schwestern der Schlange ausgeliefert sein.
Sie warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob sie die einsame Walküre erkennen konnte, die gerade unwissentlich ihre Schwestern verdammt hatte. Ihr sank das Herz, als ein vertrautes Gesicht aus dem Fenster zu ihr hinblickte.
Spatz.
Der Schmerz aufgrund der gewaltsamen Neuverdrahtung von Jandras Hirn hatte den Höhepunkt einige Minuten nach dem ersten Stoß erreicht und den schlimmsten Kopfschmerz verursacht, den sie jemals gehabt hatte. Es war ein richtiger Schädelberster, der sie so schwächte, dass sie nicht stehen konnte. Explosionen aus farbigem Licht tanzten durch ihr Blickfeld. In diesem Moment hatte Jandra nicht einen einzigen Gedanken fassen können. Sie war einfach zusammengebrochen und hatte auf dem Rücken liegend die Augen geschlossen, während sie darauf gewartet hatte, dass das Schlimmste vorüberging.
Jazz hatte sich in den letzten Stunden meist still verhalten. Hin und wieder dachte Jandra, sie wäre weggegangen, aber dann bekam sie einen Hauch Zigarettenqualm ab oder hörte ein paar Fuß entfernt ein kratzendes Geräusch. Sie zwang sich, ein Auge zu öffnen. Jazz hatte von irgendwoher Stift und Papier geholt und aus dem Mondstaub eine Parkbank aus Granit geformt. Jetzt saß sie auf der Bank und zeichnete, während sie Jandra musterte. Die Sterne über ihr leuchteten mit unirdischer Klarheit.
»Du hast ein paar sehr rüde Freunde«, sagte Jazz, als sie sah, dass Jandra wach war.
Jandra fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »W-was hast du mit ihnen gemacht?«
»Im Augenblick habe ich sie nur zurückgehalten. Sie scheinen mir ziemlich viel unterdrückte Wut zu haben. Ein heftiges Bedürfnis, etwas zu zerbrechen.«
»Sie können nicht glücklich darüber sein, dass du mich entführt hast«, sagte Jandra.
»Es gibt wichtigere Dinge im Leben, als Leute glücklich zu machen«, sagte Jazz. »Fühlst du dich jetzt besser?«
»Nein.«
»Wirklich nicht? Deine Naniten sollten die Schwellung jetzt unter Kontrolle haben und Endorphine freisetzen, um den Schmerz zu dämpfen. Wenn du dich schlecht fühlst, dann möglicherweise, weil du dich schlecht fühlen willst.«
»Wieso sollte ich mich schlecht fühlen wollen?«
»Geringes Selbstwertgefühl. Du hast dich vermutlich ziemlich mächtig gefühlt, bevor du mir begegnet bist.«
»Meinem Selbstwertgefühl geht es gut, danke«, sagte Jandra. Selbstwertgefühl? Es war
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