Die Herzen aller Mädchen
gesteckt, Karriere gemacht und schließlich mit seinem reellen Einkommen den Drogenentzug der beiden bezahlt. Ein Mann hätte möglicherweise erst gar keine Kinder angenommen. Abtreibungen durchgesetzt. Oder, dachte Bettina, ein Mann wäre ihren Kindern ein Gewinn. Ein Mann wäre das Beste, was ihnen passieren konnte. Sie hielt an und schaltete den Motor ab. Aussteigen mochte sie aber nicht. Sie wollte weiter funktionieren. Also nahm sie ihr Telefon und wählte Jaeckleins Nummer. Er meldete sich nicht. Darauf zögerte sie eine Weile, überlegte, verwarf, und schließlich drückte sie doch noch die andere Nummer ein. Es wurde sofort abgenommen.
»Frau Boll!«, rief Syra, als hätte sie lange auf Bettinas Anruf gewartet. Kein Wort davon, wie spät es war. Aber halb zwölf war auch keine Zeit für eine Kriminalrätin im Einsatz.
»Frau Syra«, sagte Bettina. »Guten Abend.«
»Sie waren bei diesem Schneider«, sagte Syra sofort. Im Hintergrund brummte es. Auch die Chefin telefonierte aus einem Auto. Einem fahrenden. »Er ist zäh, hab ich gehört, aber er wird fallen. Jaecklein hat mir vor einer Stunde berichtet. Wir überwachen den Mann. Er wird uns zu dem Buch führen. Sie waren nicht erfolgreich, aber Sie haben eine einigermaßen brauchbare Vorlage geleistet. Mehr ist manchmal nicht drin.«
»Stimmt«, sagte Bettina, von dem versöhnlichen Ton überrascht. Jaecklein war offenbar ein Kumpel. Er hatte für zwei gearbeitet und den Mund gehalten. »Aber da ist noch was«, sagte sie, vielleicht etwas zu schnell. »Ich würde gern unsere Informationen über Angelina Ritrovato abgleichen.« »Frau Boll –«
»Ich bin gerade auf eine hochinteressante Textpassage in Georg Krampes Memoiren gestoßen. Im Kapitel über seine Romreise sülzt er ganz schrecklich vom gnädigen Tod eines kleinen blonden Mädchens. Angelina, Trost aller Trauernden auf den römischen Friedhöfen. Dazu benutzt er haargenau das Ovid-Zitat, das auch auf der Postkarte stand, erinnern Sie sich?«
»Wie könnte ich das vergessen«, sagte Syra trocken. Im Hintergrund bellte ein Hund.
»Also frage ich mich jetzt, wie gut der Krampe die echte Angelina kannte. Denn falls er nur das Geringste mit ihr zu tun hatte, ist sein Schmalz vom schönen Tod unerträglich. Zumindest für die Angehörigen. Eine anonyme Rachepostkarte wäre durch so was locker motiviert. Und die Bombe –«
»Danke«, sagte Syra laut und deutlich in Bettinas Ohr. »Danke, Frau Boll.«
Bettina verstummte.
Syra schien sich abzuwenden. »Die Frau Boll.« Und wieder in den Hörer sagte sie: »Jaecklein wird Ihnen dankbar sein.«
Geht mir umgekehrt genauso, dachte Bettina.
»Sie haben eben ein Rätsel gelöst, das ihm schwer zu schaffen machte.«
»Aha?«
»Erzählen Sie ihm, was Sie mir eben gesagt haben. Zeigen Sie ihm dieses Buch.«
»Okay.«
»Und jetzt, Frau Boll, der Tag war lang, ich muss noch die Frau Ballier absetzen –«
»Nur eins noch!«, sagte Bettina schnell. »Können Sie mir nicht sagen, was das für eine Ware war, die Corinna Ritrovato und Gregor Krampe verhandelten? Nur so?«
Nun hörte sie im Hintergrund ein vertrautes Lachen. »Gib dir keine Mühe, Margarete«, sagte Balliers Stimme recht gut verständlich durch den Äther, »die Frau Boll wird auch euer schmutziges kleines Geheimnis herausbringen. Was wäre schlimm daran? Das kenne ja sogar ich!«
»Das ist was anderes«, sagte Syra nicht zu Bettina. Und ins Telefon: »Das vergessen Sie jetzt, Frau Boll. Wir hatten alle einen langen Tag.« Die letzten Worte hörten sich drohend an.
Doch Ballier lachte nur. Sie sagte kaum Verständliches, das sich nach »bei Wikipedia finden« anhörte, dann wurde ihre Stimme wieder klarer. »Viel Angst brauchst du gar nicht zu haben«, sagte sie bissig. »Frau Boll hat momentan keine Zeit für Recherche.« Die Störgeräusche schwollen an. »… würde nicht mal die Mona Lisa finden … vor ihr hinge.« Undeutliches Lachen. »Frau Boll ist zu sehr damit beschäftigt, ständig nach Frankfurt und wieder zurück zu fahren, den Herrn Krampe zu retten und den großen Auftraggeber zu suchen. – Macht ihr das beim BKA auch, Margarete? Wittert ihr überall Hintermänner wie im Film?«
»Gute Nacht, Frau Boll«, sagte Syra darauf trocken und unterbrach die Verbindung.
Nach diesem Gespräch blieb Bettina weiter in ihrem Taunus sitzen. Schlief Jaecklein wirklich schon oder ging er nur nicht ans Telefon? Kannte er das schmutzige kleine Geheimnis ? Und würde er es sich heute
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