Die Herzen aller Mädchen
Mutter reinholen und öffnen würde.«
»Weiß ich nicht.«
»Man kann ja jeden beliebigen Absender verwenden. Vielleicht stand einfach die Adresse eines Weinhändlers drauf. Dann würden zumindest Größe und Gewicht der Kiste stimmen.«
Er schüttelte wenig überzeugt den Kopf.
»Dann«, sagte Bettina langsam, »bleibt nur die Möglichkeit, dass ein Nahestehender, dem Ihre Mutter vertraute, das Paket ablieferte.«
Krampe nickte.
»Wie denken Sie darüber?«, fragte Bettina.
»Ich denke, dass Ihre Methode, mich zu fragen, ob ich meine Mutter ermorden wollte, ungleich eleganter ist als die Ihrer Kollegen«, sagte Krampe bitter. »Sie sagen es, fast ohne dass man es hört.«
»Wollten Sie denn Ihre Mutter ermorden?«, fragte Bettina.
»Nein«, sagte Krampe.
»Gut«, sagte sie, »dann würde mich aber interessieren, wer Ihrer Mutter die Postkarte schickte mit der Aufschrift …« Sie zog ihren schon sehr zerknitterten Prospekt des Ovid-Manuskripts hervor, schlug die mittlere Seite auf und las, was aus Bacchus’ Mund quoll: »MUNUSHABECAELUM:CAELOSPECTABERE SIDUS.« Die Worte waren sehr schwer zu entziffern, da sie zusammen- und großgeschrieben waren, noch dazu in ungebräuchlichen Buchstaben. Hätte Bettina nicht gewusst, was dort stand, wäre sie nie auf die Idee gekommen, dass sie den Text überhaupt lesen konnte.
»He!« Krampe warf ihr einen ungläubigen Blick zu und nahm ihr kurzerhand den Prospekt ab. »Ich wusste, dass ich das kenne! Mama hat es mir vorgelesen, aber da dachte ich an was ganz anderes – stimmt, das ist mein Ovid! Es steht auf unserem Flyer!« Er lachte unfroh.
»Da ist ein Zusammenhang«, erklärte Bettina.
Krampe schüttelte den Kopf.
»Ein Zusammenhang zwischen einem anonym eingesandten Manuskript, einer anonym eingesandten Postkarte und einer anonym eingesandten Bombe«, sagte Bettina.
Krampe vergrub den Kopf zwischen den Händen. »Das ist ja furchtbar«, sagte er dumpf.
Und Bettina hatte plötzlich das ungute Gefühl, dem einzigen Verdächtigen etwas verraten zu haben, das er zuvor noch nicht gewusst hatte.
Sie fuhr nach Ludwigshafen, denn in den Bücherschlauch konnte sie nicht zurück, nicht ohne einen besseren Plan. Lesen Sie, hatte Ballier gesagt, und das würde Bettina tun, in Ruhe aber, und Fallbezogenes, ihre schönen Akten und Infos, das, was auf ihrem noch vorhandenen Schreibtisch lag, was ihr an den Hut stieß.
Doch ihr Büro fand Bettina in eine Einsatzzentrale verwandelt. Nessa Kaiser hatte den Fall Lohmeier bekommen. Der war schon fünfzehn Jahre alt und wurde immer dann herausgekramt, wenn sie gerade sonst nichts zu tun hatten, eine tragische Geschichte um ein erdrosseltes Mädchen, dessen Tod bis heute nicht vollständig geklärt war, unter anderem deshalb, weil der Hauptverdächtige Selbstmord begangen hatte.
»Der Vater war es nicht«, sagte Bettina zu Kaiser, die grübelnd über dem großen Porträtfoto von Hans Lohmeier saß. Ihren Teil der Wand hatte die Neue mit allem vollgepinnt, was die Akte hergab, Obduktionsfotos, ein Lageplan des Fundorts, Porträts der Familienmitglieder und eins des Nachbarn, Erich Mahler.
Der war fast sicher der Täter, denn er hatte sich drei Tage nach dem Fund der Leiche im Keller erhängt.
»Aber der Vater war schon damals zweimal vorbestraft«, sagte Kaiser.
»Er hat ein Alibi«, sagte Bettina.
»Von seiner Geliebten«, konterte Kaiser. Sie hatte sogar die Kleidung des Opfers aus der Asservatenkammer geholt. Plastiktüten stapelten sich auf ihrem Tisch, und ein großer Karton mit weiteren Beweismitteln wartete noch darauf, ausgepackt zu werden. Offensichtlich war Kaiser eine von den Frauen, die immer etwas auspacken müssen. Bettina dachte an die Holzkiste mit der Bombe.
»Haben Sie denn an dem Fall schon mitgearbeitet?«, fragte die neue Kollegin jetzt, und das klang unverschämt, erstens, als sei Bettina uralt, und zweitens, als hätte sie damals gepfuscht.
Nun hätte Bettina leicht sagen können, dass jeder vom K11 irgendwann am Fall Lohmeier gesessen hatte, als Strafarbeit nämlich, doch sie zuckte bloß die Achseln. »Ich hab mal drübergeguckt.«
Kaiser hob die Augenbrauen, dünn gezupfte und vermutlich gefärbte Augenbrauen. Bettina wusste, dass sie sich davon nur gereizt fühlte, weil sie selbst auch gern so gepflegt gewesen wäre.
»Die Familie des Täters«, sagte sie ruhig und deutete auf Mahler, »ist sehr unangenehm. Es gab vermutlich einen Abschiedsbrief mit Geständnis, den hat seine
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