Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
Vom Netzwerk:
Sie, Frau Boll.«
    »Dann möchte ich nach Darmstadt fahren und mir das Haus ansehen«, erwiderte Bettina rasch. »Und die Reste der Kiste, in der die Bombe war. Und vor allem dieses Packpapier mit den Schriftfragmenten.«
    Eine kleine Pause entstand.
    »Ich würde mir gern ein Bild machen von Frau Krampe«, erklärte Bettina. »Und vom Tatort.«
    »Sie bleiben in Rosenhaag und machen mir ein Bild von Dr. Krampe. Detailliert. So wie eben.«
    »Jawohl«, sagte Bettina vielleicht ein wenig zu untertänig.
    Syra holte Luft. »Der Herr Dr. Krampe sitzt genau im Zentrum dieser Geschichte, ohne sich auch nur ansatzweise zu rühren. Er ist das Auge des Sturms. Und er handelt nicht nach rationalen Mustern. Sie kennen ja sein Dossier.«
    »Schon …«
    »Denken Sie nur an den merkwürdigen Bruch in seinem Lebenslauf.«
    »Hm.« Bettina hoffte bei Gott, dass sie nichts Wichtiges überlesen hatte. Doch im Dossier stand nur, Krampe sei ein erfolgreicher Wissenschaftler ohne Anhang und Vorstrafen.
    »Dass er die Uni so plötzlich ohne Not verlassen hat, ist einfach seltsam«, sprach Syra nachdrücklich. »Zumal sie auch eine weit solidere Adresse gewesen wäre, um sich selbst einen kostbaren Ovid-Kodex zu schicken.«
    »Vielleicht musste er einfach mal raus«, sagte Bettina vage. Die Kinder rumorten inzwischen in ihrem Wohnungsflur. Ein Nachbar kam die Treppe heruntergepoltert, grüßte Bettina zerstreut und polterte weiter.
    Syra schnaufte geringschätzig. »Ich bitte Sie. Dr. Krampe arbeitet jetzt für einen Drogeriemarktbesitzer und Hobby-Buchsammler. Mehr kann man den Ritter beim besten Willen nicht nennen.«
    »Dort hat er bestimmt mehr Freiheiten.«
    »Es war gewagt«, äußerte die Vorgesetzte ungeduldig. »Um nicht zu sagen unprofessionell. Mit der Übernahme der Ritter-Sammlung hat sich Dr. Krampe sein akademisches Fortkommen verbaut. Er hat eine fast sichere Professur aufgegeben. Da waren keine äußeren Umstände, die ihn zu diesem Schritt gedrängt haben. Keine Familie, keine Krankheit, keine Liebesaffäre, nichts. Er hat eine Dummheit begangen oder ein Opfer gebracht. Und so etwas mag ich nicht. So einen unberechenbaren Typen möchte ich nicht mitten im Zentrum meines Falls haben. Das macht mich nervös, Sie nicht auch, Frau Boll?«
    »Nun …«, sagte Bettina.
    »Gut«, sagte Syra. »Sie werden also diesem Mann nach Rosenhaag folgen und ihn beobachten, bis unser Fall geklärt ist. Schreiben Sie mir Berichte über ihn, je länger, je besser. Halten Sie sich an Frau Ballier. Ich werde heute nicht dort sein. Ich fliege nach Italien.«
    »Oh, wie schön«, sagte Bettina lahm, doch die Verbindung war schon unterbrochen.
     
    Bettina hatte wenig Lust, wieder zu dem elitären Bücherkloster zu fahren, doch die direkte (und praktisch einzige) Arbeitsanweisung Syras konnte sie kaum ignorieren. Allerdings zögerte sie ihre Ankunft weidlich hinaus. Sie lieferte ihre Kinder in Schule und Kindergarten ab, kaufte Brötchen und Getränke für den Tag und schaute dann erst mal im Büro vorbei, für den Fall, dass ihre Akte über Nacht schon wieder angewachsen war. Dank diesem simplen Papierstapel konnte sie sich fühlen wie die Polizeipräsidentin persönlich. So spielend leicht war sie noch nie an wichtige Informationen gelangt, nicht mal Härting hatte einen vergleichbaren Service. Die einzige Gefahr war, sich daran zu gewöhnen. Denn den Luxus verdankte sie allein Kriminalrätin Syra und der geballten Autorität des BKA. Syra aber würde bald feststellen, dass Bettinas Intuition auf Zufällen und Zwängen beruhte, die in jede beliebige Richtung abdriften konnten, und dann würde sie sich eine zuverlässige Arbeiterin ohne Kinder suchen. Eine wie Nessa Kaiser.
    Die nahm sich nicht mal Zeit zum Kaffeetrinken. Tief gebeugt stand die neue Kollegin vor Willenbachers Schreibtisch und murmelte halblaut vor sich hin. Ihr magerer Rücken zuckte dabei. Bettina blieb mit ihrer Tasse in der Hand in der Tür stehen. In diesem Büro hatte sich zu so morgendlicher Stunde nie mehr befunden als die Tagesmeldungen, die Zeitung und das Frühstück. Doch nun breitete sich ein Meer aus Klarsichttüten mit Beweismitteln über sämtliche ebenen Flächen, und nicht mal Bettinas Wand war verschont geblieben: Dort prangte einsam und anklagend das Porträtfoto der vierzehnjährigen Sylvia Lohmeier, aufgenommen ein halbes Jahr vor ihrem Tod.
    »Es inspiriert mich«, erklärte Nessa Kaiser in einem Ton, der besagte, dass sie es nicht wieder abhängen

Weitere Kostenlose Bücher