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Die Herzen aller Mädchen

Titel: Die Herzen aller Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Geier
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plötzlich stehen und klappte das kleine Gerät zu. »Der Hund, Frau Ballier!«
    »Ich weiß«, sagte die alte Agentin friedlich.
    Bettina folgte. In diesem Moment sah sie wenig, weil die Düsternis der Halle sie zu schnell umfing. »Haben Sie Anhaltspunkte?«, fragte sie Bailiers Schemen.
    Ein schmaler, katzenhafter Schatten näherte sich. Marny. »Anhaltspunkte wofür?«
    »Dass der Ovid gestohlen werden soll.«
    Der Blick der jungen Sekretärin schnellte zu Ballier.
    Die lächelte. »Nicht mehr als die überaus attraktiven Illustrationen.« Sie hielt die Leine ihres Hundes fester. »Ruhe, Liesel. Gucken Sie nicht so, alle beide. Es ist eine Tatsache, dass hundert Leute die Mona Lisa klauen wollen, aber niemand den Hexensabbat von Goya. In meinem Beruf ist Schönheit der zuverlässigste Wegweiser. Dass irgendwer es fertigbringen sollte, sie leidenschaftslos zu betrachten, wie Ihr Freund Kant das postuliert, Frau Boll, halte ich für Mumpitz. Nach meiner Erfahrung ist sie – und nur sie – der Auslöser für eine Menge Dummheiten.« Nachdenklich musterte sie die attraktive Marny.
    »Sie kommen nicht jeden Tag hierher, nur weil das Buch schön ist«, sagte Bettina.
    »Doch. Sie übrigens auch.« Ballier erlaubte sich ein kleines Grinsen. »Man sieht deutlich, wie wenig Ihnen das passt – Kant hätte seine Freude an Ihnen –, aber genau darum sind Sie hier.«
    Kant ging Bettina auf die Nerven. »Nehmen wir an, das Buch ist morgen fort. Wo suchen Sie als Erstes?«
    »Morgen«, erwiderte Ballier, »wird das Buch nicht gestohlen, nicht wahr, Frau Marny?«
    »Ich glaube nicht.« Marny betrachtete die Agentin mit einer Mischung aus Nachsicht und Interesse. »Im Moment ist es zum Fotografieren bei der Restauratorin. Die wird es sich bestimmt nicht klauen lassen.«
    »Im Gutenberg-Museum ist es vermutlich sicher«, stimmte Ballier zu. »Spannend wird es erst, wenn das Manuskript aus Mainz zurückkommt.«
    »So wie immer am Wochenende.« Marny lächelte milde. »Aber Sie unterschätzen sich, liebe Frau Ballier. Bei uns wird ein potenzieller Dieb vollends verzweifeln. Immerhin haben wir neben unseren Sicherheitssystemen, die ja ein klein wenig moderner sind als im Gutenberg-Museum, eine besorgte und wachsame Spezialistin zur Seite. Ihretwegen, Frau Ballier, traut sich kaum jemand auch nur in die Nähe des Ovid, schon gar nicht mit unlauteren Absichten.«
    »Wenn es aber doch passiert?«, fragte Bettina.
    Marny neigte den Kopf, sodass ihre braunen Haare sich über die rechte Schulter wellten. Sie sah aus wie eine Madonna. »Dann«, sagte sie todernst, »sollten Sie sich zuallererst den blonden Typen vorknöpfen, der draußen den Bagger fährt.«
    »Wieso?«, fragte Bettina, auf die Gefahr hin, dass sie verschaukelt wurde.
    »Weil er ins Haus kommt«, sagte Marny verträumt. »Er ist ein Bauarbeiter, aber er kommt in die Bibliothek. Er will aufs Klo, er will ein Schwätzchen mit mir halten, er will hier rein. Das wollen die anderen nicht, im Gegenteil. Die halten sich von uns fern. Die gewöhnlichen Arbeiter haben Respekt vor der Wissenschaft.« Sie kräuselte amüsiert ihre Nase. »Politisch unkorrekt, nicht wahr?«
    »Aber zutreffend«, sagte Ballier nachdenklich.
    »Passiert das öfter?«, fragte Bettina.
    Marnys Handy klingelte. Sie sah es an, als sei es ein böser Fluch. »Na, so drei, vier Mal hab ich ihn hier getroffen. Oder selbst reingelassen. – Er zieht sich sogar saubere Schuhe an.« Sie drückte einen Knopf.
    »Andere als draußen?«, fragte Bettina in die wartende Stille nach dem Klingelton hinein.
    Nicken. »Draußen schwarze mit Stahlkappen, hier drinnen helle Sneakers. Ist das nicht erstaunlich?« Damit wandte die hübsche Sekretärin sich ab, ging ein paar Schritte fort und sprach mit völlig veränderter, ehrerbietiger Stimme in ihr Handy: »Hallo? Herr Bürgermeister! – Ja …«
    Ballier blickte ihr kopfschüttelnd hinterher und zog Bettina mit sich durch die große Eingangstür nach draußen. »Die Marny«, sagte sie leise. »Eine echte Femme fatale.«
    »Und der Bauarbeiter«, erwiderte Bettina, während ihnen Licht und Kälte entgegenschlugen.
    »Ja, das ist merkwürdig«, sagte Ballier.
    »Vor allem das mit den Schuhen«, sagte Bettina.
    Ballier blickte verständnislos.
    »Wir sollten diesen Mann überprüfen.«
    »Oh, sicher«, sagte Ballier. »Überprüfen Sie ihn.«
    Bettina musterte die alte Agentin von der Seite. »Sie glauben doch, dem Ovid könnte was passieren.«
    »Schon«, sagte Ballier.

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