Die Herzen aller Mädchen
verschränkte die Hände direkt vor Anna auf dem Tisch. »Um sich dort zu treffen, muss man sich verabreden.«
Anna starrte den Kommissar an. Das innere Zittern wurde stärker und griff auf ihre Hände über. Ihr ganzes Leben hatte sie mit der Bewältigung dieser Geschichte verbracht, und nun saß da dieser Fremde und brachte mit wenigen Sätzen alles ins Wanken.
»Haben Ihre Mutter und der Herr Krampe sich nicht schon aus Deutschland gekannt?«, wiederholte Jaecklein.
»Nein, sie hat ihn in der Bibliothek kennengelerrnt«, beharrte Anna.
»Und Ihr Vater? Kannte der den Herrn Krampe?«
»Wohl kaum.«
»Hatten Sie, Ihr Vater oder Ihre Mutter jemals Kontakt zu der Organisation Deutsche Aktionsgruppen?«, fragte Jaecklein.
»Nein, wer ist denn das?«
»Eine terroristische Vereinigung.«
Anna schüttelte den Kopf.
»Und wie steht es mit Propaganda Due, genannt P2?«
»Nie gehörrt.«
»Rote Brigaden?«
»Auch nicht.«
Jaecklein beugte sich vor und flüsterte fast: »Gladio?«
»Nein«, sagte Anna. Was auch immer Gladio war, es schien der Gipfel des Bösen zu sein.
»Hatten Sie mal das Gefühl, bei einem Klienten vielleicht, dass Sie ausgehorcht werden? Über Georg Krampe?«
Darüber dachte Anna länger nach. »Nein«, sagte sie dann.
»Wurde je bei Ihnen eingebrochen?« »Ja.«
»Und etwas gestohlen?«
»Meine neue Melkmaschine«, sagte Anna.
Jaecklein ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken. »Gut, Frau Oberhuber«, sagte er müde. »Ich möchte Sie bitten, Ihr Anwesen erst wieder zu betreten, wenn unsere Durchsuchung abgeschlossen ist. Das kann vielleicht noch bis morgen dauern. Falls Sie uns eine Nummer geben können, unter der wir Sie erreichen, werden wir Sie benachrichtigen. Die Tiere dürfen Sie natürlich versorgen. Vorerst wäre das dann alles. Sowie Sie Ihre Aussage unterschrieben haben, können Sie gehen.«
Anna spürte die Freiheit wie einen Schlag in die Magengrube. »Ich kann gehen?«, wiederholte sie ungläubig.
»Bitte«, sagte Jaecklein. »Oder haben Sie uns noch etwas mitzuteilen? Möchten Sie Ihre Aussage ergänzen?«
Schnell stand Anna auf. »Oh. Nein.«
* * *
Erst als der Schatten des Kirchturms bis zu Gregors Stuhl reichte, kam der Engländer, ganz so, als hätte er nur auf diesen dunklen Pfad über den allzu lichten Platz gewartet. »Krampe«, sagte er.
»Goodevening, Mr. Freestone «, entgegnete Gregor.
Freestone setzte sich und lächelte an Gregor vorbei. »Ach! Warum versucht ihr Deutschen immer, mit jedem in seiner Muttersprache zu reden? Sogar im Ausland?«
»Preferisce parlare Italiano? Quindi non deve neanche adattarsi al mio idioma«, fragte Gregor kühl. Die Gespräche mit Freestone hatten immer diesen absurden Unterton. Der Mann schraubte sich um seine Themen und Begegnungen herum. Für den Biografen war das anstrengend.
»Non posso «, sagte Freestone und grinste über seinen hintergründigen Witz. »Jetzt ist er also fertig, mein kleiner Lebenslauf.« Er schob seinen Hut ein wenig aus der Stirn. »Meine Geschichte: ein echter Krampe! Das hat was, ja, das ist groß. Niemand kennt meine Identität, und jetzt bin ich der Johnny Montes der Gegenwart.«
Gregor nahm eine Olive. Der Johnny Montes der Gegenwart war mit Sicherheit genauso eine arme Sau wie der aus den Büchern. »Die Idee hätte meinem Vater bestimmt gefallen«, sagte er kauend.
»Sera.« Das war die dunkle Stimme der Wirtin. Unaufgefordert stellte sie ein Glas Pastis vor Freestone.
»Grazie.« Der Engländer blickte die schwarzgekleidete junge Frau nicht an, goss sofort Wasser aus einem kleinen Krug in sein Glas, und die klaren Flüssigkeiten mischten sich zu einem milchigen Getränk. »Ihr Vater«, sprach er und lächelte böse, »war ein sentimentaler Narr.«
»Mein Vater«, entgegnete Gregor nüchtern, »hielt Sie für ein Genie. Das weiß ich aus seinen Notizen.« Ein Genie und Aufschneider, dachte er. Freestone ist der Größte, hatte sein Vater nach einem Treffen mit dem Engländer geschrieben. Er erfasst jeden Stil, den Aufbau jeder Zeichnung, den Fluss der Striche, die Bewegungen des Künstlers, sein innerstes Prinzip. Er kann malen wie Rembrandt, wie Dürer, wie Malewitsch und Picasso. Aber man darf ihm kein Wort glauben: Danach hinge in jedem Museum ein Bild von ihm. Er ist größenwahnsinnig und sehr überzeugend. Einem Zweifler würde er noch die Sixtinische Kapelle als sein Werk verkaufen.
»Ihr Vater war ein blonder Hans«, erklärte Freestone indessen. Das Genie hatte er
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