Die Herzen aller Mädchen
allem. Katzen spazierten durch goldenen Sonnenschein. Die beiden Osterie des Örtchens lagen sich am Marktplatz gegenüber.
Beide hatten keine erkennbaren Namen, vor der einen standen ein paar Plastikstühle, die Sitzgelegenheiten der anderen bestanden aus Korbgeflecht. Gregor spähte in beide Kneipen hinein, dann wählte er einen Korbstuhl, weil der in der Sonne stand. Er war zu früh. Er würde wieder warten müssen. Seinen schweren Koffer hatte er bei sich.
* * *
Natürlich gab es im kalten Würzburger Polizeipräsidium keinen Johanniskrauttee. Dabei hätte Anna jetzt dringend was Heißes und Starkes gebraucht. Ihr inneres Zittern hörte gar nicht mehr auf und sie sah sich bereits drei Beamten gegenüber, einem drahtigen Mittvierziger, der aussah wie ein Jagdhund, einer jungen verächtlich blickenden Brünetten und natürlich Jaecklein. Der wirkte hier in dem Vernehmungsraum viel entspannter, doch Anna war nicht sicher, ob sie darüber froh sein sollte. Es bedeutete, dass er sich in ihrem Haus nur vor unbekannten Fallen und Sprengstoff gefürchtet hatte. Für die Macht ihrer Persönlichkeit dagegen war er taub. Nun sprach er fast fürsorglich mit ihr, neigte den Kopf beim Reden nach rechts und sah ihr aufmerksam ins Gesicht.
»Erzählen Sie mir von Ihrem Vater«, bat er.
»Er ist vor zwanzig Jahrren an Krrebs gestorrben«, erwiderte Anna kurz. Sie hatte schon so viel erzählt. Fast alles. Nur das Eigentliche nicht. Denn das, so war ihr auf der Fahrt hierher bitter klar geworden, durfte sie nicht sagen. Ihre eigene Waffe, die Wahrheit, hatte sich gegen sie verkehrt. Falls sie erzählte, wie alles gewesen war, hatte sie ein fettes Motiv für den Bombenanschlag am Hals.
»Da haben Sie doch jetzt bestimmt regen Kontakt zu ihm«, konnte der Jagdhund sich nicht verkneifen, und die Brünette grinste unverschämt.
Jaecklein aber blickte seine Kollegen strafend an und wandte sich wieder Anna zu. »Haben Sie ihn noch regelmäßig gesehen, nachdem Ihre Eltern sich getrennt hatten?«
»Nein«, sagte Anna. »Er hat wieder geheirratet. Er wollte von meiner Mutter nichts mehr wissen.« »Was wissen Sie über seinen beruflichen Werdegang?«
»Er war Jurrist«, sagte Anna zögernd.
»Wo hat er gearbeitet?«
»Auf einem Amt.«
»Welchem?«, fragte Jaecklein.
Anna schämte sich, weil sie von ihrem Vater so wenig wusste. »Wir haben versucht, ihn zu vergessen«, sagte sie entschuldigend.
»Sie waren erst neun, als Sie nach Deutschland kamen«, sagte Jaecklein. »Zu der Zeit hat Ihr Vater für die allgemeine Militäranwaltschaft in Rom gearbeitet. Palazzo Cesi. Sagt Ihnen das was?«
Anna schüttelte den Kopf.
»Wissen Sie, wie Ihre Eltern und die Krampes sich kennengelernt haben?«, fragte Jaecklein.
»Meine Mutter«, sagte Anna, »hat den Georrg gekannt.«
»Aus Deutschland?«
»Nein, es war in einer Bibliothek, in Rom, da haben sie sich getrroffen.« Sie richtete sich auf. »Aber rumgetrrieben hat meine Mutter sich net. Eine Bibliothek ist schließlich kein Flirrtlokal. Und man weiß fei schon, was der für einer war, der Georrg. Ein Don Juan. Das stand in jeder Zeitung. Meine Mutter war naiv und nur ein kleiner Spaß für ihn, und das –«
»Frau Oberhuber.« Jaecklein beugte sich über seine Notizen und hielt einen Stift hoch. »Im Moment geht es nur um seinen Kontakt zu Ihren Eltern. Hat Ihre Mutter Ihnen mehr davon erzählt, wie die Verbindung zu Georg Krampe zustande kam?«
Anna setzte an zu sprechen – natürlich, Herr Kommissar, das kann ich Ihnen sagen, das war so – und merkte erst in dem Moment, dass sie es eben nicht konnte. »Die beiden haben sich in der Bibliothek kennengelerrnt«, wiederholte sie.
»Es gibt Tausende von Bibliotheken in Rom«, sagte der Jagdhund darauf halblaut und grinste von einem Ohr zum anderen.
»Sie haben recht.« Jaecklein ignorierte den Kollegen einfach. »Die beiden trafen sich in einer Bibliothek. Das ist erwiesen.«
Anna lächelte ihn spontan an, doch er blieb ernst.
»In einer ausgegliederten kleinen Bereichsbibliothek der Biblioteca delta Facoltà di Lettere e Filosofia der Sapienza im rückwärtigen Gebäude eines römischen Häuserblocks. Das ist in der Tat kein Flirtlokal, Frau Oberhuber. Man kann es kaum einen öffentlich zugänglichen Ort nennen. Und es ist auch kein Raum, in dem sich eine römische Hausfrau und ein hochzeitsreisender Journalist mal eben so über den Weg laufen und verlieben, auch wenn sie beide deutscher Herkunft sind.« Jaecklein
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