Die Herzen aller Mädchen
die Korrespondenz zum Teil selbst bearbeitet. Der Vatikan hat Ansprüche angemeldet, das orthodoxe Patriarchat, die Türkei und dann natürlich auch Griechenland und noch hundert andere. Jeder, dem mal ein alter Psalter geklaut wurde, pocht auf Rechte. Du weißt ja, wie viele das sind.«
Bettina wusste es nicht. Gregor überholte unaufmerksam einen Porsche von rechts. Der hupte und zog davon.
»Es ist nicht ganz so«, sagte sie schwach. »Wir haben eine vielversprechende Spur.«
Gregor schnaubte. »Entschuldige. Ich habe mit Ritter und mehreren Kollegen über deinen Vorstoß mit dieser römischen Bibliothek gesprochen. Alle haben dasselbe gesagt: Ihr könnt nichts wissen. Es ist ein Bluff. Ihr habt nur dem Druck von oben nachgegeben und einen Grund erfunden, um den Kodex endgültig zu beschlagnahmen.« Ohne es vermutlich zu merken, wechselte er auf die linke Spur, gab Gas und verfolgte den Porsche.
»Warum sollten wir?«, fragte Bettina mit einem nervösen Blick auf den Tacho.
»Ist doch klar. Wenn das Buch erst mal zur Prüfung in irgendeinem Polizeimagazin liegt, werden Vatikan, Patriarchat und die Türkei es gnädig vergessen. Sie wollen es nur, solange wir Erkenntnisse daraus ziehen. Wenn ihr es uns wegnehmt, habt ihr Ruhe. Die triviale Lösung: Keiner kriegt es. Traurig ist das nur für den echten Besitzer.«
Bettina ließ das eine Weile sacken. Tom Waits sang Waltzin’ Matilda. »So«, sagte sie dann. »Und was willst du mir mit alldem sagen?«
Sie erhielt keine Antwort.
»Dass wir Ignoranten sind, die der Forschung im Wege stehen? Klar, die Polizei hat andere Interessen als die Wissenschaft. Das geht bestimmt nicht immer zusammen.«
Schweigen.
Bettina verschränkte die Arme. »Das ist es also nicht.«
Gregor bedrängte den Porsche.
Bettina sah ihn an. »Du willst mir sagen, dass Dr. Ritter sich den Ovid selbst geklaut hat.«
Er drückte fest aufs Gas.
Sie seufzte tief. »Du bist gut. Wenn du recht hast, reden wir von Versicherungsbetrug in Millionenhöhe. Du zwingst mich, den alten Ritter von Kopf bis Fuß zu filzen, denn nun habe ich einen konkreten Verdacht. Soll ich etwa das Buch bei ihm finden?«
»Nein, du sollst das Buch bei ihm nicht finden«, erwiderte Gregor leise.
Bettina rieb sich die Stirn. »Ich leite diese Ermittlung nicht«, sprach sie dumpf. »Mehr kann ich nicht dazu sagen.«
Der Porsche vor ihnen gab nach, zog nach rechts und öffnete ihnen die linke Spur. Gregor beschleunigte bis zum Anschlag. Der Motor seines Citroën begann komisch zu klackern.
»Jetzt werde ich dir mal sagen, was ich glaube«, erklärte Bettina, als er endlich langsamer fuhr.
»Bitte.«
»Ich glaube, dass du den Ovid-Kodex an Dr. Ritter geschickt hast.«
Die CD war zu Ende. Die Musik verstummte, und das Dröhnen des Automotors klang plötzlich schrill in Bettinas Ohren. Gregor zog das Auto auf die rechte Spur. »Nein.«
»Doch. Er war im Besitz deiner Familie. Dein Vater hat ihn vor Jahrzehnten in dieser römischen Bibliothek gestohlen. Sein Eintrag wurde auf der Besucherliste ihres Handschriftensaals gefunden. Ganz einfach. Das können wir wissen. Das ist solide, unpolitische, zwischenstaatliche Polizeiarbeit. Das, wozu das BKA da ist. Es ist erwiesen, dass Georg Krampe dort war, und ebenso, dass da in der entsprechenden Zeit ein kleiner Psalter gestohlen wurde.«
Gregor fuhr nun kaum noch hundertdreißig. »Das ist eine Erfindung«, erklärte er sofort. »Eine Intrige. Das gehört zum Bluff dazu.«
»Nein«, sagte Bettina. »Das ist eine bequem nachprüfbare These.« Sie blickte Gregor fest an. »Man müsste das Buch nur auf die Fingerabdrücke deines Vaters untersuchen. – Wenn es noch da wäre«, setzte sie bedeutungsvoll hinzu.
Gregor schüttelte den Kopf.
»Und vielleicht«, sagte Bettina, »würde sich sogar herausstellen, dass die albernen Kommentare am Seitenrand, die ich gestern Abend nicht lesen durfte, in der Handschrift deines Vaters verfasst sind.«
Gregor schniefte. »Ganz sicher nicht. Du hast ja nur die ersten gelesen. Die restlichen sind schmierige Liebesbriefe. Schau mal, was die auf der nächsten Seite machen, dasselbe würde ich gern mit dir tun, die ganze Nacht.«
Bettina sah ihn milde an. »Unsere Eltern hatten alle Sex, Lieber.«
»Nicht so«, sagte Gregor. »Und lass gefälligst dieses Lachen! Mein Vater hat Tagebuch geführt und eine Biografie geschrieben. Ich kenne seine Handschrift – gut, die ist ähnlich –, aber auch seinen Stil! Das war er nicht. Davon
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