Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
gar
nicht. Es war einfach nötig, regelmäßig hierher zu kommen. Punktum. Irgendwie musste er Susannah wieder für sich gewinnen.
In einer Stunde würde er sein Büro aufsuchen, um mit einem der einflussreichsten japanischen Industriellen zu verhandeln. Solche Begegnungen hatten früher das Adrenalin schneller durch seine Adern gepumpt. Jetzt wollte er einfach nur seine Ruhe, von fortgesetztem Schlafmangel gepeinigt.
Die letzte Nacht war besonders schlimm gewesen. Vor ein paar Wochen hatte er endlich seinen Arzt konsultiert. Da hätte er ehrlich sein müssen. Aber er brachte es einfach nicht über sich, einem zwanzig Jahre jüngeren Speichellecker – mochte der auch medizinisch ausgebildet sein – seine Depressionen zu gestehen. Würde er diesem schwarzen, tiefen Abgrund jemals entrinnen? Wohl kaum ...
Während der vergangenen Nacht hatte er stundenlang in seiner Bibliothek gesessen und den Smith&Wesson-Revolver betrachtet, den er in einer Mahagonikassette verwahrte. Schweiß rann ihm von der Stirn. Seit Wochen glaubte er, am zerklüfteten Rand eines gespenstischen Infernos zu leben ... Nein, daran durfte er nicht denken. Bald würde sich sein Zustand bessern. Jeden Tag konnte es so weit sein.
Die Tür des Gebäudes öffnete sich, und Sam Gamble schlenderte heraus. Schmerzhaft krampfte sich Joels Magen zusammen. Zur Hölle mit dem Bastard ... In lässiger Haltung ging Gamble zu dem gebrauchten Volvo, den er vor ein paar Monaten gekauft hatte. Was für ein dreistes, selbstherrliches Gehabe – als wäre er kein arroganter Emporkömmling, sondern ein King! Aber Joel tröstete sich mit dem Gedanken, dass auch dieses Auto zur Konkursmasse gehören würde, wenn die verrückte Firma Pleite machte. Warum wartete er so dringend darauf? Das verstand er nicht, und es frustrierte ihn. Natürlich hatte er nicht mit
Mitchell Blaines Einstieg gerechnet. Andererseits – nicht einmal Blaine konnte Wunder vollbringen.
Als Cal die Neuigkeit erfahren hatte, war er ebenso erstaunt wie Joel gewesen. »Warum lässt sich Blaine auf so einen bizarren Deal ein?«
»Weil ihn seine Frau verlassen hat«, antwortete Joel möglichst beiläufig. Wie tief ihn die Nachricht erschüttert hatte, durfte der junge Mann nicht merken. »Offenbar kann er nicht mehr klar denken. Aber wir müssen uns keine Sorgen machen. Egal, wie brillant Mitch Blaine auch sein mag, er wird den Laden nicht am Leben erhalten.«
Cal hatte ihn gedrängt, aggressiver gegen SysVal vorzugehen. Dazu war Joel nicht bereit. Susannah sollte ihr Fiasko durch eigenes Verschulden erleiden. Nur dann würde er sie wieder bei sich aufnehmen. Genüsslich malte er sich ihre Reue aus, wie sie ihn anflehen würde, er möge ihr die Rückkehr nach Falcon Hill erlauben.
Plötzlich rissen ihn quietschende Reifen aus seinen Gedanken. Gamble griff gerade nach seiner Autotür, als ein kleiner roter Toyota auf den Parkplatz raste und ruckartig neben dem Volvo stoppte. Sichtlich aufgeregt sprang eine Frau heraus und rannte zu ihm. Sie trug ein violettes Stretch-Top, einen engen schwarzen Jerseyrock und hochhackige Pumps mit Riemchen an den Knöcheln. Schon nach wenigen Sekunden erkannte Joel die billige kleine Schlampe wieder, die Mutter des Bastards.
Auch Gamble hatte sie entdeckt. Der Motor des Toyotas lief, der Wagenschlag stand offen. Besorgt eilte er ihr entgegen, sie packte seinen Arm und sprach hektisch auf ihn ein. Da Joel nur einzelne Wörter verstand, entging ihm der Sinn ihres Gezeters. Gamble schien sich zu ärgern. Als sie seinen Arm noch fester umklammerte, schüttelte er sie ab und lief zu seinem Volvo zurück.
»Sam!«, schrie sie.
Ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, setzte er sich ans Steuer, startete den Motor und verließ den Parkplatz. Mit schleppenden Schritten ging sie zu ihrem Auto zurück, wie eine rückgratlose Flickenpuppe sank sie gegen das Heck. Joel beobachtete, wie sie die Arme vor dem Bauch verschränkte. Langsam wiegte sie sich hin und her, und die großen goldenen Ohrringe baumelten im selben Rhythmus. Ihr Haar war zerzaust, und ihr Gesicht spiegelte abgrundtiefe Verzweiflung wider. Perverserweise weckte der Anblick ihres Elends seine Lebensgeister, wie es seit Wochen nicht geschehen war. Nun fühlte er sich beinahe wieder wie der alte Joel Faulconer, der alles im Griff hatte. Gleichzeitig empfand er wachsende Neugier. Was Sam Gamble erzürnte, würde ihm vielleicht nützen.
Nur einige Sekunden lang zögerte er, bevor er aus seinem Wagen
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