Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
ihnen bereitwillig Platz. In geballter Formation standen Polizisten bereit, und er entdeckte zahlreiche Erste-Hilfe-Stationen, für die Trauernden bereitgestellt, die wegen der Hitze oder grenzenloser Hysterie in Ohnmacht fallen würden. Offenbar fürchteten die Stadtväter das eskalierende Temperament der Menge, das unterschiedslos zwischen ohrenbetäubendem Wehgeschrei und einer fast karnevalistischen Fröhlichkeit zu schwanken schien. Eine Frau in grünen Flipflops erzählte Angela, um vier Uhr morgens
sei ein weißer Ford mit einem Jugendlichen am Steuer auf den Gehsteig geschleudert. Drei blutjunge Mädchen, die dort Wache gehalten hatten, waren von dem Auto erfasst worden, und einer der Teenager hatte den Unfall nicht überlebt. In Joels Augen wurde das Leben zunehmend unsinniger.
Nun fuhren die ersten Autos durch das Music Gate zum Haus, wo die Trauerfeier stattfinden sollte. Angela entdeckte Ann-Margret in einer der Limousinen, und ein anderer Zuschauer behauptete, soeben habe er George Hamilton gesehen. Einem Gerücht zufolge war Burt Reynolds durch den Hintereingang hineingehuscht. Zu Joels Verblüffung interessierten sich diese Leute tatsächlich für unbedeutende Filmschauspieler. In seinem Country-Club wäre keiner dieser so genannten Stars als Mitglied akzeptiert worden.
Wahrscheinlich hätte es nur einiger Telefonate mit den richtigen Personen bedurft, und er wäre zu der Totenmesse eingeladen worden. Allein schon der Gedanke stieß ihn ab. An dieser Massenhysterie beteiligte er sich nicht – er beobachtete nur das plebejische Getümmel voll schriller Stimmen und exzessiver Emotionen.
Der Morgen schleppte sich dahin. In der lastenden Hitze fiel ihm das Atmen immer schwerer. Er kaufte einem Straßenhändler zwei wackelige Klappstühle ab, setzte sich mit Angela an eine Stelle, die einen halbwegs ungehinderten Ausblick zum Tor bot, und wartete mit ihr auf die Trauerprozession.
»Was ist Ihnen wichtig, Joel?«
Diese indiskrete Frage würdigte er keiner Antwort.
Sie hob ihr Nackenhaar hoch und fächelte sich mit einer flach gedrückten rotweißen Popcornschachtel Kühlung zu. »Mir sind Sammy und mein Freundeskreis wichtig – dazu gehört auch Ihre Tochter. Meine Fahrten nach Vegas. Und der Gottesdienst am Sonntag. Es macht mir Spaß, mit meinen
Freundinnen herumzualbern und meine Kundinnen zu frisieren. Und es freut mich, wenn die alten Ladys über meine Witze lachen, wenn ich ihnen das Gefühl gebe, sie wären hübsch. Aber Sammy ist mir am allerwichtigsten.« Sie legte die Popcornpackung auf ihre Knie und studierte einen Fingernagel, an dem der violette Lack abblätterte. »Natürlich bringe ich ihn oft in Verlegenheit. Wie ich aussehe, wie ich mich benehme, dass ich ein paar Leuten erzähle, Elvis sei sein Vater – das alles passt ihm nicht. Soll ich mich deshalb ändern? Nein. Nicht einmal ihm zuliebe. Für meinen Mann Frank wollte ich mich ändern, und das hat nicht funktioniert. Ein Mensch muss so sein, wie er ist. Und ich schwärme nun mal für schrille Fummel, und ich amüsiere mich gern. Sonst wird man fünfzig, bevor man’s merkt, und hat gar nicht richtig gelebt.«
Bildete sie sich etwa ein, von ihm zu reden? Er war neunundfünfzig... Mit eisiger Stimme betonte er: »Ich bewohne eines der schönsten Anwesen von Kalifornien. In der ganzen Welt besitze ich Häuser, außerdem mehrere Autos – alles, was sich ein Mann nur wünschen kann.«
»Trotzdem tun Sie mir Leid.«
Wütend runzelte er die Stirn. Woher nahm sie die Frechheit, ihn zu bedauern? »Sparen Sie sich Ihr Mitleid für jemanden, der’s braucht.«
»Alles, was im Leben schön und gut ist, scheint Ihnen zu entgehen, Joel. Sie glauben nicht an Gott. Und Sie wollen sich nicht mit Ihrer Tochter versöhnen.«
»Lassen Sie Susannah aus dem Spiel!«
»Eine ganz besondere junge Frau. Gütig und einfühlsam. Vermutlich wird Sammy ihr wehtun. Dann sollten Sie für sie da sein.«
»Von mir darf sie nichts erwarten. Sie hat sich ihr Bett selbst gemacht. Und jetzt soll sie verdammt noch mal darin liegen.«
»Manchmal ist es das Beste an der Liebe, jemanden zu lieben, obwohl er einen verletzt hat. Hören Sie mir zu, Joel. Jeder Narr kann jemanden lieben, der perfekt ist und ununterbrochen alles richtig macht. Aber damit erweitert man seine Seele nicht. Das schafft man nur, wenn man einen unvollkommenen Menschen liebt.«
»So wie Sie Ihren Ehemann?«, fragte er abfällig. »Ihr Frauen seid wirklich merkwürdig. Ständig lasst
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