Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
funktionierte ohne Schwierigkeiten. Das Haus wirkte wie eh und je – kalt und abweisend. Im Schlafzimmer mit den Stahlmöbeln und der grauen Wildledertapete fand sie alles genauso vor, wie sie es zurückgelassen hatte. Alles – außer ...
Verblüfft betrachtete sie ein kleines Ölgemälde, das zwischen den beiden identischen Kleiderständern hing. Eine Meereslandschaft in sanften, femininen Pastelltönen – ein eigenartiger Kontrast zum kühlen grauen Stil des Raums ... Dieses Bild hatte Susannah in einer Galerie in Mill Valley entdeckt und sich sofort dafür begeistert. Aber Sam hatte es gehasst und ihr verboten, es aufzuhängen. Jetzt sah sie es zum ersten Mal wieder, seit sie von einer Geschäftsreise heimgekehrt und mit der Tatsache konfrontiert worden war, dass er es in den Laden zurückgeschickt hatte.
Kraftlos sank sie auf den Bettrand und starrte das Bild an. Aus ihrer Kehle rang sich ein Schluchzen. Wie konnte er ihr einerseits die Firma wegnehmen und andererseits dieses Gemälde präsentieren? Welch ein rührendes Geschenk ... Vor einem Tränenschleier verschwammen die Pastellfarben und schienen sich zu bewegen. In wässrigem Blau und Grün rauschten die Wellen der Meereslandschaft zur Küste.
Plötzlich dachte sie an Sams Woge – die Welle der Zukunft, die er vor all den Jahren beschrieben hatte. Diese Welle war über sie alle hinweggerollt, um sie für immer zu verändern. Das hatte Sam prophezeit – und es war geschehen. Da öffnete sich das große Gefäß der Leiden, das sie bisher in sich verschlossen hatte, und sandte dunkle Ströme durch ihren ganzen Körper. Die Arme zitternd vor der Brust verschränkt, wiegte sie sich auf der Bettkante hin und her, betrachtete das Bild und betrauerte den Tod ihrer Ehe.
Und sie beklagte auch den Tod dieses Kindes, das sie ersehnt hatte – ein dunkelhaariges Kind mit olivfarbenen Wangen, von kampflustigem Geist und grenzenloser Fantasie erfüllt. Niemals würde dieses Kind das Licht der Welt erblicken. Aber Susannah drückte es an sich, liebte es mit aller Kraft und zwängte Jahre mütterlicher Fürsorge in wenige Minuten. Mit einem trostlosen Wiegenlied beweinte sie das Kind ihrer Fantasie, das sie nicht empfangen hatte, legte es in sein Grab, und ihr Herz drohte dabei zu brechen.
Als sie das Haus verließ, fühlte sie sich so alt und leer wie ein ausgehöhlter Stein.
26
Nur selten war ihr etwas so schwer gefallen, wie an diesem Nachmittag das SysVal-Bürogebäude zu betreten. Sie trug ein schmuckloses schwarzes Strickkleid. In seinem schlichten Schnitt verschanzte sie sich wie hinter einem Panzer. Als sie an der Rezeption ihre Dienstmarke vorzeigte, wich der Sicherheitsbeamte ihrem Blick aus. Ein paar Arbeiter standen in der Eingangshalle und unterbrachen ihr Gespräch, als sie die Chefin entdeckten. Verlegen starrten sie den Boden oder die Wände an. In dieser Firma funktionierte die Gerüchteküche ausgezeichnet. Offensichtlich hatte Mindy Bradshaw nicht den Mund gehalten, und inzwischen würde jeder Mitarbeiter wissen, dass Susannah das Mädchen und Sam beim Sex ertappt hatte.
Auf dem Weg durch die Flure wurde sie von einigen Männern vorsichtig begrüßt, als wäre sie eine todgeweihte Krebspatientin und sie wüssten nicht, was sie ihr sagen sollten. Höflich nickte sie ihnen zu und ging weiter, mit kerzengeradem Rücken, in perfekter Haltung. Lieber würde sie sterben, bevor sie den Blick nach unten richtete. 1965 war sie San Franciscos Debütantin des Jahres gewesen und davor in traditioneller Weise erzogen worden. Deshalb verstand sie es, in allen provozierenden Situationen Würde zu bewahren und ihre Emotionen hinter einer gelassenen Fassade zu verbergen.
Während sie sich ihrem Büro näherte, schwitzten ihre Handflächen. Doch sie senkte den Kopf um keinen Zentimeter. Kurz vor ihr flüchtete ein Ingenieur durch eine Tür. Vermutlich wollte er der Peinlichkeit entrinnen, Susannah begrüßen zu müssen. Ihre Mundwinkel bebten. Da erkannte sie, dass sie’s nicht durchhalten würde. Sie war keine High-Society-Lady mehr, nicht mehr die überaus tüchtige
SysVal-Präsidentin, sondern eine Frau, die gelernt hatte, zu fühlen, zu lieben, zu leiden. Plötzlich stockten ihre Schritte. Nein, sie würde es nicht schaffen.
Die Muskeln völlig verkrampft, schreckte sie zusammen, als eine Lautsprecherstimme ertönte. Nie zuvor war diese Stimme im SysVal-System erklungen, denn sie gehörte jemandem, der sich seit Jahren bemühte, eben dieses
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