Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
ihr Bewusstsein –
Schreckensschreie, gedämpfte Gespräche. Aufgeregte Gäste bildeten Gruppen. Bald würden sie Paige mit Fragen bestürmen, die sie nicht beantworten konnte, und sie eimerweise mit Mitleid überschütten. Weil sie das nicht ertragen würde, musste sie verschwinden.
Ihr verbeulter VW parkte im Hof, zwischen Jaguars und Rollses. Möglichst unauffällig, am Rand des Gartens entlang, eilte sie dorthin. Bevor sie um die Ecke des hinteren Flügels von Falcon Hill bog, hielt sie inne und schaute zurück. Die Gruppen standen aufgeregt beisammen. Während die Leute in alle Richtungen spähten, schien jeder den Skandal auf andere Weise zu interpretieren. Würden die Männer ihre Kugelschreiber zücken, um zu berechnen, wie sich das Ereignis auf den Preis der FBT-Aktien auswirken würde?
Plötzlich glich das Blut, das zunehmend schneller durch Paiges Adern floss, einem reißenden Strom und rauschte in ihren Ohren. Das war’s! Die Chance, auf die sie ihr Leben lang gewartet hatte! Zögernd streifte sie die Boa von ihren Schultern und warf sie hinter einen Blumenkasten voller Rosen. Dann kehrte sie klopfenden Herzens zu den Gästen zurück.
Als sie die nächste Gruppe erreichte, holte sie tief Luft
und nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Wäre es nicht eine Schande, das fantastische Buffet zu verschwenden? Gehen wir doch ins Zelt.«
Verblüfft wandten sich die Leute zu ihr.
»Ach, Paige, du armes Kind!«, rief eine Frau. »Wie furchtbar muss das für dich sein!«
»Wir können’s einfach nicht glauben«, seufzte eine andere. »Ausgerechnet Susannah!«
»Nun – in letzter Zeit stand sie unter starkem Druck«, hörte sich Paige mit sanfter, leiser Stimme erklären, die sie an ihre Schwester erinnerte. »Hoffentlich – bekommt sie die professionelle Hilfe, die sie braucht.«
Eine Stunde später schmerzte ihr Rücken vor innerer Anspannung, nachdem sie so viele Fragen höflich beantwortet hatte. Sie verabschiedete sich von den letzten Besuchern. Dann ging sie ins Haus. Falcon Hill umhüllte sie – einerseits tröstlich, andererseits beklemmend. Auf der Suche nach ihrem Vater durchquerte sie Unmengen von menschenleeren Räumen. Unbehaglich stieg sie die Treppe hinauf. Die Tür ihres einstigen Zimmers war geschlossen. In diesem Raum würde sie nichts Wesentliches finden, und es drängte sie nicht, ihn zu betreten.
Susannahs Zimmer wirkte so ordentlich wie eh und je. Neben der Tür warteten die Koffer auf die Hochzeitsreise und glichen einsamen Kindern. Nach kurzem Zaudern schlenderte Paige ins angrenzende Bad. Die Marmorwanne und das Waschbecken schimmerten makellos. Nirgendwo klebte ein kastanienrotes Haar. Das Badezimmer erweckte den Eindruck, ihre Schwester hätte es nie benutzt. War sie stets sauber und perfekt in der Welt aufgetaucht, ohne sich darum zu bemühen?
Auch das Schlafzimmer des Vaters wirkte untadelig aufgeräumt – und ebenso verlassen. Schließlich fand sie ihn in einem kleinen Arbeitsraum im Hintergrund des Hauses.
Stocksteif stand er am Fenster und starrte auf die Spuren der geplatzten Hochzeit hinab.
Ihr Magen krampfte sich zusammen. »Daddy?« Langsam drehte er sich um und schaute sie fragend an, als wäre nichts Wichtiges passiert. »Ja, Paige?«
Da verflog ihr hart erkämpftes Selbstvertrauen. »Eh – ich – ich wollte nur sehen, ob du okay bist.«
»Natürlich. Warum glaubst du, es würde mir schlecht gehen?«
Sie musterte ihn etwas genauer und bemerkte seine wächserne Blässe, die harten Linien um die Mundwinkel. Neue Kraft stieg in ihr auf. »Soll ich dir einen Drink bringen?«
Forschend betrachtete er ihr Gesicht und schien über etwas nachzudenken. Dann nickte er knapp. »Tu das.« Sie wandte sich zum Gehen, aber seine Stimme hielt sie zurück. »Und – Paige, dieses Kleid ist grauenhaft. Würdest du etwas anderes anziehen?«
Ihre erste Reaktion auf seine Kritik war der gewohnte, zornige Trotz, der jedoch sofort verebbte, denn Vater schickte sie nicht weg. Nein – er wollte, dass sie hier blieb. Nach der Flucht meiner Schwester bin ich keine Außenseiterin mehr ... Um einen Entschluss zu fassen, brauchte sie nur ein paar Sekunden. Sie rannte in Susannahs Zimmer und schlüpfte aus dem billigen Fähnchen.
Fünf Minuten später stieg sie in einem der eleganten italienischen Strickkostüme ihrer Schwester die Treppe hinab, betrat den Salon und öffnete den Barschrank.
Wie ein Karussell, das außer Kontrolle geraten war, flog die Welt an Susannah
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