Die Herzensbrecherin: Roman (German Edition)
vorbei. Der Wind zerrte an ihrem Haar, schlang es um ihren Kopf und peitschte es gegen Sams Wange. Da ihr Kleid nach oben gerutscht war, rieben sich ihre Schenkel am rauen Denim seiner Jeans. Doch das spürte sie
nicht. Inzwischen hatte sie die Phase unkomplizierter Gefühle, die nur dem Augenblick galten, überschritten. Während sie sich an seine Taille klammerte, hoffte sie, die wilde Fahrt würde niemals enden. Solange die Maschine dahinbrauste, gab es kein Gestern, kein Heute, kein Morgen.
Sam schien ihren Wunsch zu verstehen. Statt die Harley nach Süden zu steuern, raste er im Zickzack über die Halbinsel und zeigte ihr eine vertraute Umgebung aus einer neuen Perspektive. Das San Andreas Reservoir glitt vorbei, später die Bucht, dann eine ruhige Wohngegend. Vom Wind begleitet, folgten sie dem Highway. An ihrer Seite donnerten achtzehnrädrige Laster, wirbelten Split auf und bliesen Auspuffgase in Susannahs Gesicht, die ihr den Atem nahmen. Hupen plärrten die entlaufene Braut an, die in einem unpassenden Spitzenkleid hinter einem Biker saß. So wollte sie bis in alle Ewigkeit weiterfahren, durch die Zeit in eine andere Dimension – in ein Land, wo sie keinen Namen hatte, wo nichts, was sie tat, Konsequenzen nach sich ziehen würde.
Südlich von Moffet Field verließ Sam den Highway. Bald durchquerten sie Industriegebiete. Dahinter lagen Einkaufszentren, und nach einer Weile drosselte er das Tempo. Susannah presste ihre Wange an seine Schulter. Bleib nicht stehen, flehte sie stumm, bleib nicht stehen.
Aber er bremste, schaltete den Motor aus, und die Harley erstarrte zwischen ihren Beinen. Sam drehte sich um und nahm sie in die Arme. »Höchste Zeit für eine kleine Pause, Biker-Lady«, flüsterte er, »dein Mann ist hungrig.«
Verstört schnappte sie nach Luft. O Gott, war er ihr Mann? Was hatte sie getan – was würde mit ihr geschehen?
Sam ließ sie los und stieg von seiner Maschine. Dann reichte er ihr eine Hand, und sie griff danach, als glaubte sie, die Berührung würde sie retten.
»Jetzt betreten wir eine neue Welt«, verkündete er.
Genau genommen gingen sie zu einem Burger King. Sobald Susannah merkte, wo sie waren, riss sie die Augen auf. Unter ihren bestrumpften Füßen fühlte sich der Asphalt des Parkplatzes warm an. Um Himmels willen – barfuß vor einem Burger King ... Über einem Knie hatte sich ein Loch in einem Seidenstrumpf gebildet, und ein kleines kreisförmiges Stück Haut quoll hervor wie eine Blase aus einem Brotteig. Sam zog sie mit sich. Durch die Fenster sah sie neugierige Gesichter – und in einer Scheibe ihr erschreckendes Spiegelbild – das zerknüllte Brautkleid, zerwühltes kastanienrotes Haar, die schmale Nase, vom Wind gerötet...
In panischer Angst packte sie Sams Arm. »Nein – ich kann nicht ...«
»Du hast es schon getan«, erwiderte er und schob sie durch die Tür, mitten hinein ins typisch amerikanische, nach Burger duftende Herz.
In einer orangegelben Nische unterbrachen einige Teenager-Jungs einen Rülpswettbewerb, um die Neuankömmlinge zu begaffen. Entsetzt hörte sie das Gelächter, das ihrer spektakulären äußeren Erscheinung galt. Einige Sekunden lang hafteten ihre Sohlen an einer klebrigen Stelle auf dem Fliesenboden. Ein paar Sechsjährige, die gerade eine Geburtstagsparty feierten, spähten unter verbogenen Pappkronen hervor, und ein Kind zeigte mit dem Finger auf die derangierte junge Frau. Im ganzen Lokal ignorierten die Leute ihre Fritten und Whoppers, um Susannah Faulconer anzuglotzen. Wie versteinert stand sie da und versuchte erfolglos, die traumatischen Ereignisse aus ihrem Bewusstsein zu verbannen.
Brave Mädchen ließen sich nicht kidnappen. Und eine Braut, die der kalifornischen Oberschicht angehörte, stieg nicht auf eine Harley-Davidson, um ihrer Hochzeit zu entrinnen. Was stimmte nicht mit ihr? Was würde sie jetzt tun?
Sie hatte Cal gedemütigt. Niemals würde er ihr verzeihen. Und ihr Vater ...
Nein, was sie verbrochen hatte, war zu ungeheuerlich, und sie konnte nicht an ihren Vater denken. Noch nicht.
Sam war zur Theke gegangen. Jetzt drehte er sich zu ihr um. »Du wirst doch nicht weinen?«
Unfähig, auch nur ein Wort aus ihrer zugeschnürten Kehle hervorzuwürgen, schüttelte sie den Kopf. Er kannte sie nicht gut genug, um zu wissen, dass sie niemals weinte. Obwohl der Gedanke in diesem Moment verlockend war.
»Du siehst toll aus«, murmelte er. »Richtig cool und sexy.«
Von beglückenden Emotionen erfasst,
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