Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
Unterredung teilnehme? Ich würde gerne mich selbst, mein Schiff und meine Mannschaft in den Dienst Eurer Sache stellen.”
“Ich wäre in Eurer Schuld, wenn Ihr das tätet”, erwiderte Camille. “Allerdings bin ich verpflichtet zu fragen, ob Ihr Euch bewusst seid, welche Risiken Ihr eingeht.”
“Dessen bin ich mir vollkommen bewusst”, erklärte Leung. “Ich würde noch viel mehr riskieren, um zu erreichen, dass eine Frau auf dem Thron Eures Landes sitzt, die Gerechtigkeit gegenüber der Königin meines Landes walten lässt.”
“Sollen wir uns setzen?”, fragte Gisèle. “Ich werde Erfrischungen kommen lassen.”
Während sie Tee tranken und kleine, mit rosa Zuckerguss überzogene Kuchen aßen, berichtete Camille, was sie von Arno über die augenblickliche Situation im Herzogtum erfahren hatte. Sie sah keine andere Möglichkeit, als in den Herzogspalast zurückzukehren, um Michel seines Amtes zu entheben. Dabei ging es nur zum Teil um ihre eigene Genugtuung. Sie musste zu dem Zeitpunkt im Palast sein, zu dem Michel die Macht verlor, sodass der König keine Zeit hatte, einen Mann seiner Wahl zum Herzog zu machen.
“Ich bin sicher, wenn Ihr genügend Zeit hättet, wäre es gar nicht nötig, sich dem Herzog persönlich entgegenzustellen. Dasselbe, was der Bericht Eures Eunuchen besagt, hörte auch ich von meinen Boten. Sie fanden in jeder Stadt und jedem Dorf Zeichen der Unterstützung für Euch, Madame”, erklärte Madame Gisèle.
“Es ist meine Abwesenheit, die mir Macht verleiht”, stellte Camille ironisch fest. “Viele Menschen beruhigt es zu wissen, dass in der Ferne jemand darauf wartet, zu ihrer Rettung herbeizueilen. Es ist ziemlich leicht, sich mich in der Rolle des Ritters in schimmernder Rüstung vorzustellen. Allerdings befürchte ich, dass die Menschen die Hoffnung verlieren werden, wenn mehr und mehr Zeit vergeht. Ich muss den Palast erobern, sobald ich kann, und meinen Untertanen zeigen, welche Verbesserungen sie von meiner Herrschaft zu erwarten haben.”
Gisèle nickte. “Dann sollten wir das in Angriff nehmen.”
Beim Pläneschmieden verging der Nachmittag im Nu. Camille fand rasch heraus, dass Madame Gisèle nicht nur die Gesandte des Protektorats am Königshof war, sie kommandierte auch die Verteidigungskräfte des Protektorats, zu denen Kommandant Leung gehörte. Mit dem umsichtigen Einsatz von Söldnern wurden unauffällig die Restriktionen umgangen, die ihr Vater über das Protektorat verhängt hatte. Maxime handhabte alle sonstigen rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten, doch mit Madame Gisèle sprach er nur über die Wachen, um sich über deren Ränge und die Entscheidungen seiner Tante zu informieren. Camille fühlte sich, als wäre sie urplötzlich auf die andere Seite der Welt gefallen. Sie hatte schon vorher gewusst, dass Frauen im Protektorat einen größeren Einfluss hatten, als sie es kannte, bis jetzt hatte sie das allerdings noch nicht miterlebt.
Nachdem sie sich von Madame Gisèle und Kommandant Leung verabschiedet hatte, befolgte Camille Gisèles Rat und machte einen Spaziergang im Rosengarten. Die Rosenbüsche wuchsen an den Kanten eines spiralförmig angelegten Pfades, wobei die Farben und Düfte der Blumen nach und nach dunkler und schwerer wurden, je näher sie der Mitte des Gartens kam. Der Sparziergang beruhigte sie mehr und mehr. Ihre Gedanken wurden klarer und schärfer. Als sie eine sonnengewärmte Steinbank vor einer mit üppigen granatfarbenen Rosen überwucherten Wand erreichte, fühlte sie sich, als wäre sie aus einem langen Schlaf erwacht. Sie inhalierte die scharfe Süße der Rosen und den warmen, weichen Geruch der Erde, all das gewürzt mit einem Hauch von Seeluft.
Wenn sie genau hinhörte, konnte sie das Echo von Stimmen aus dem Burghof vernehmen. Kleine grüne und gelbe Vögel ließen sich auf den Rosenbüschen nieder und zwitscherten ein paar kurze einförmige Melodien.
Camille schloss die Augen. Hier konnte sie einfach nur sein und die Welt um sich herum als einen Teppich aus den verschiedensten Sinneswahrnehmungen empfinden. Nur zu bald meldeten sich jedoch wieder ihre Ängste, die Furcht vor Unzulänglichkeit und Versagen. Sie erinnerte sich an den Ausdruck in Baron Belettes Gesicht, als er geglaubt hatte, sie in die Falle gelockt zu haben: Abscheu und Verachtung hatten in seinen Augen gestanden, und das hatte sich nicht geändert, ganz gleich ob er sie für eine Herzogin oder für eine Dirne gehalten hatte. Zum damaligen
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