Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
sie darum bat, würde sie ihm wahrscheinlich sogar die Hütte geben, die er sich so sehr wünschte. Er war dankbar – und konnte doch nicht aufhören, mehr zu wollen. Alles, was sie tat, hatte einen Grund. Er wollte all diese Beweggründe kennen. Er wollte ihre Träume und ihre Gefühle kennen. Er wollte nicht für zuverlässige Dienste belohnt werden und dann irgendwann in seiner lang ersehnten eigenen Hütte sitzen und sich für den Rest seiner Tage fragen, was aus ihnen beiden hätte werden können.
Er wollte eine Verbindung mit ihr und ihr Eingeständnis, dass etwas zwischen ihnen war. Er wollte von ihr hören, dass er ihr etwas bedeutete. Vielleicht sah Camille ihn mit denselben Augen wie ihre Eunuchen, die, bis sie alt waren und aus dem Dienst entlassen wurden, so etwas wie Sklaven waren. Henri hatte ihr den Treueeid geleistet und ihr damit stillschweigend das Recht gegeben, sie wie einen Leibeigenen zu behandeln. Er hatte diesen Eid aus freien Stücken abgelegt und geglaubt, er könnte auf irgendeine Weise ihr Leben und auch seins verändern. An diesem Entschluss und diesem Glauben konnte er nur sich selbst die Schuld geben. Er war kein Kind, das seine Meinung ändern konnte, sobald es schwierig wurde.
Wenn sie ihn jedoch nicht brauchte, war es besser, sie zu verlassen. Bloß war das nicht so einfach. Er war sich sicher, dass sie jemanden brauchte. Jeder brauchte einen Menschen, dem er vertrauen konnte. Und sie hatte niemanden.
Camille legte die Hand auf seinen Nacken und drückte seinen Kopf herunter. Als sie ihm Wasser über die Haare goss, kniff er die Augen zu. Vielleicht hatte sie gar nicht darüber nachgedacht, was es bedeuten könnte, ihn zu waschen. Vielleicht war es für sie dasselbe, als würde sie sich um eines der Pferde kümmern, es bürsten und reinigen. Wen sie wohl lieber hatte, Guirlande oder ihn?
Es war schrecklich ermüdend für ihn, immer wieder zu versuchen herauszufinden, was sie dachte und fühlte. Wenn sie ihm einfach erlauben würde, sie zu lieben, wäre alles viel einfacher. Er fragte sich, ob sie wusste, wie viel leichter alles hätte sein können.
Trotz seiner Jugend hatte er eine Mutter und eine Großmutter und für kurze Zeit auch eine Schwester besessen, hatte sie alle geliebt und alle verloren. Auch Camille hatte ihre Mutter verloren, als sie noch sehr jung gewesen war, und ihr Vater war ein grausamer Gebieter gewesen und hatte sie mit dem jetzigen Herzog verheiratet. Henri glaubte nicht, dass es zwischen Camille und ihrem Vater oder zwischen ihr und ihrem Gemahl viel Zuneigung gegeben hatte. Manchmal behandelte sie Sylvie mit einer solchen Gleichgültigkeit oder Verärgerung, dass es nicht den leisesten Hinweis darauf gab, dass die beiden einmal miteinander geschlafen hatten, und er war sich sicher, dass es kein zweites Mal passiert war. So gern sie die Eunuchen auch hatte, behandelte sie sie doch wie Dienstboten. Maxime hatte beteuert, sie würde ihn nicht lieben. Was war mit Henri? Verglichen mit all diesen anderen, war er nicht mehr als ein Lidzucken, eine Annehmlichkeit, die sie sich für einen Moment erlaubte.
Camilles Hand, stark vom Führen der Zügel, drückte das letzte Wasser aus seinen Haaren. Weil er Angst hatte, sie in seine Augen schauen zu lassen, hob er nicht den Kopf. Sie strich mit der Hand über seinen Nacken und seinen Rücken, als würde sie Guirlande streicheln. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich immer weiter aus. Würde er jemals den Mut finden, mit ihr über seine Gefühle zu sprechen?
Auch sie redete nicht über dieses Thema, und er glaubte nicht, dass sie es jemals tun würde. Oder tun konnte. Sie war nicht nur eine Herzogin, die in den Grenzen ihres Standes gefangen war, sie war auch furchtbar verletzt worden. Diese Verletzungen rührten wahrscheinlich aus der Zeit vor seiner Geburt. Es war lächerlich, sich einzubilden, ausgerechnet er könnte sie heilen. Das hier war kein Märchen. Er besaß keinen Zauberstab.
Er dachte an eines der Jagdpferde des Herzogs zurück, einen Fuchs, den der Herzog mit der Gerte mehrmals auf den Kopf geschlagen hatte. Henri war nicht dabei gewesen, als das passiert war, aber alle Reitknechte und Stallburschen wussten davon. Der Wallach war anschließend nicht mehr zu gebrauchen gewesen. Er war so nervös, dass niemand sich ihm nähern konnte, ohne dass er in Panik auf die Hinterbeine stieg. Schließlich, Wochen später, hatte ihm der oberste Stallbursche die Kehle durchgeschnitten. Henri war damals zehn
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