Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
verstehen, was er meinte. “Was sollte das für eine Rolle für mich spielen? Was die Menschen sehen – das ist es, was wirklich zählt. Wenn ich ihnen Schwäche zeige, wie soll ich dann regieren? Das ist ganz besonders jetzt von größter Bedeutung. Niemand wird den Herzog entthronen, wenn er nicht sieht, dass ich die bessere Regentin bin.”
Sie hatte gute Gründe für das, was sie tat. Und doch wusste Henri, dass sie unrecht hatte. Wie sollte er es ihr erklären? “Ihr seid sehr gut darin, Eure Gefühle zu verbergen”, fing er schließlich an.
“Aber?” Sie klang nicht, als würde sie seine Antwort ernst nehmen wollen.
Henri zwang sich, sie anzusehen, ihre kurz geschorenen Haare, die entschlossene Miene und ihre wunderschönen silbergrauen Augen. “Ich denke, dass es Euch von innen heraus vergiftet”, sagte er. “Wenn Ihr alles da drinnen verbergt, das Gute und das Schlechte, dann bleibt dort kein Raum mehr. Es eitert. Zunächst bemerkt Ihr es vielleicht gar nicht. Ihr seid vielleicht in der Lage, immer weiterzumachen. Bis es dann eines Tages zu viel wird und Ihr einen Wundarzt braucht. Nur werdet Ihr dann keinen haben. Ihr brauchtet ihn vorher nicht und schicktet ihn deshalb fort. Oder … nein, anders. Ein gutes Pferd, wenn Ihr es nur im Stall stehen lasst, tagein, tagaus. Es kann nirgendwohin, hat nichts anderes zu tun, als nur dazustehen und all den anderen Pferden zuzusehen, die kommen und gehen. Dann beginnt seine Haut zu jucken, es kaut an seinem Futtertrog, es rollt mit den Augen und seine Hufe fangen an zu faulen.”
Sie schaute ihn an, ohne ein Wort zu sagen, bis er verlegen wegsah. “Ihr könnt mir nicht vormachen, dass Ihr vollkommen glücklich seid. Das könntet Ihr nicht behaupten, ohne zu lügen.” Nachdem er sich mit einem kurzen Seitenblick vergewissert hatte, dass sie ihm zuhörte, fuhr er fort: “Versteht Ihr denn nicht? Ich würde niemals weitererzählen, was Ihr mir anvertraut! Niemals!”
“Henri …”
“Könnt Ihr nicht für einen Moment vergessen, weise und mächtig zu sein? Wenn es nötig sein sollte, Euch wieder daran zu erinnern, würde ich es tun.” In Schwung gekommen fügte er hinzu: “Wie bei Guirlande. Ihr gebt Euch Guirlande hin, und sie gibt sich Euch hin.”
Camille legte ihre Fingerspitzen auf seine Lippen. Er war erstaunt, dass sie ihn so lange hatte sprechen lassen, ohne ihn zu unterbrechen. Dann presste sie ihren Mund dorthin, wo eben ihre Finger gewesen waren, vergrub ihre Zähne mit einem fast schon schmerzhaften Biss in seiner Unterlippe und öffnete schließlich seinen Mund mit ihrer Zunge. Sie wollte ihn zum Schweigen bringen, aber glaubte er nicht daran, dass auch sein Körper zu ihr sprechen konnte? Selbst wenn sie ihm nicht zuhörte.
Er legte den Arm um sie und zog sie zu sich heran. Als sie abrupt jeden Widerstand aufgab und plötzlich zwischen seinen Knien stand, wäre er fast von der Bank gerutscht. Während sie sich küssten, grub er seine Finger in die seidige Haut ihres Rückens und unterdrückte den Drang zu atmen, denn dann würde er für eine Sekunde seinen Mund von ihrem lösen müssen.
Ihre Hände auf seinen Schultern waren sanft und zärtlich, ihre Daumen strichen über seine Haut. Nun zog Henri sich doch zurück. “Nein”, sagte er.
“Du willst mich”, stellte Camille fest.
“Ich will Euch immer”, erwiderte Henri. “Doch das spielt keine Rolle.” Er wusste nicht mehr weiter und legte seine Hände um ihr Gesicht. “Ich liebe Euch”, sagte er. “Das ist es, was ich Euch sagen will. Auch wenn Ihr keine Gefühle für mich habt oder Euch nicht erlaubt, welche zu haben.”
“Du möchtest mich ficken, das ist alles”, stellte Camille fest. “Du bist ein Junge, du bist verwirrt, und du verstehst nicht …”
“Woher wollt Ihr das wissen? Woher?” Am liebsten hätte Henri sie geschüttelt. Stattdessen zog er seine Hände weg. Er befürchtete, weinen zu müssen, wenn sie noch irgendetwas sagte. Er taumelte rückwärts aus dem Wasserbecken und kämpfte dabei um Selbstbeherrschung. Während er sich ungeschickt aus dem Wasser hievte, spürte er ihren Blick auf seiner Haut. “Ich werde jetzt nach Euren Pferden schauen”, erklärte er. “Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich begleiten.”
Henri zog seine Reithosen an und knöpfte sie mit zitternden Händen zu. Er wusste nicht genau, wie man von hier zu den Ställen kam. Es war ihm egal, er würde schon irgendwie hinfinden. Er hatte vergessen, zuerst seine Strümpfe
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