Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)

hegte, er konnte nur dessen paradoxen Eigenheiten nicht begreifen. Einerseits hatte Waldur die hoheitsvolle Haltung seiner verstorbenen Mutter und andererseits diese haarsträubende Tapsigkeit. Völlig ratlos kam sich Ossian demgegenüber vor, und das kompensierte er mit Strenge.
Unentwegt bemüht, Ossians Forderungen nachzukommen, eilte Waldur mit ihm durch die Lande, meist zu Pferd, aber mitunter auch mit den flinken, zweirädrigen Kurierwagen. Woche um Woche. Von oder zu alemannischen Grafschaften oder auch mal zu einem fremden Hof, wobei Ossian vertrauliche Nachrichten entgegennahm oder überbrachte. Mit hinein in die Residenzen nahm Ossian Waldur nie, dazu sei sein Benehmen noch viel zu ungeschliffen, erklärte er ihm. Dabei beherrschte Waldur jedwede Höflichkeitsregel, hatte sie Ossian in den ersten Tagen auch vorführen müssen, beispielsweise, wie man fremde Gäste begrüßt, sie zu Tisch geleitet und dabei mit ihnen plaudert, um ihnen ihre Anfangsscheu zu nehmen. Doch Ossian hatte sich bei alledem nur sein strohgelbes Haar gerauft, daran müsse noch gehörig gefeilt werden, hatte er Waldur angekündigt.
Das taten sie auch seitdem, stets, wenn sie zwischen ihren Botenwegen Zeit dazu fanden. Meist spielte Ossian dabei eine adelige Empfangsperson, die Waldur als Kurier begrüßen, ihr eine Schriftrolle überreichen und sich sogleich wieder verabschieden musste - der kürzeste Kurierauftritt, bei dem Waldur dennoch alles verkehrt machte. Mal bewegte er sich zu schlaksig, dann wieder zu eckig, er blickte der Empfangsperson zu ungeniert ins Gesicht und redete sie in einem zu vertrauten Ton an. Am ärgsten entsetzte sich Ossian über Waldurs Verbeugungen.
„Doch nicht so runterplumpsen“, regte er sich meist auf, „und nicht deine Knie dabei küssen!“ Oder: „Zu leger, wieder viel zu leger, das wirkt respektlos, habe ich dir gesagt.“ Und wenn Waldur es besser machen wollte, „das ist zu hölzern, du bist doch kein Nussknacker. Gleich nochmal runter, den linken Arm dabei nur locker auf den Rücken, und bereits beim wieder Aufrichten die Schriftrolle darreichen.“
So lernte Waldur tatsächlich elegantere Bewegungen wie auch eine geziemtere Ausdrucksweise.
Als er schließlich in allem gewandter war, nahm Ossian ihn auch mit hinein in die Residenzen, zunächst als stumme Begleitperson. Doch als er zu seiner Überraschung beobachtete, wie gut Waldur, trotz seiner noch immer zu saloppen, dafür aber umso herzlicheren Art, bei Hof ankam, ließ er ihn dann und wann selbst eine Nachrichtenrolle überreichen und bald auch kurze mündliche Botschaften darbringen.
Eigentlich verrichte er das recht anständig, fand Ossian, und doch störte ihn etwas an seinem Auftreten, nach wie vor. Dieses Saloppe? Sicher, doch das alleine sei es nicht, meinte er, als er Anfang Herbst eines Nachts eingehend über Waldur nachdachte. Ansonsten könne er mehr als zufrieden mit ihm sein, billigte er Waldur zu, er sei willig, lerne rasch und sei wegen seiner zuvorkommenden Art überall gerne gesehen. Auch erwecke er mit seiner imponierenden Körpergröße und -haltung sowie diesem starken Blick genug Respekt, um mal ein Heer befehligen zu können. Trage er aber nicht seine Nase zu hoch, fragte sich Ossian und hatte auch schon die Antwort: Ja, das tut er, das ist es! Und dazu diese Lässigkeit, herablassend wirkt das. Und ständig dieses Lächeln im Gesicht, selbst wenn ich ihn rüge, als ob ihn die Rügen niemals treffen. Das ist gar keine Ergebenheit, wie ich geglaubt habe, das ist verbrämte Arroganz!
Somit glaubte Ossian nun endlich erkannt zu haben, was ihn an Waldur so irritiert hatte und jetzt umso mehr störte - verbrämte Arroganz.
Deshalb wurde er noch strenger mit ihm. Und der bedauernswerte Waldur wagte sich aufgrund dessen kaum noch vom Pferd zu steigen und ein paar Schritte zu tun. Völlig verkrampft wurde er, und seinen Mund tat er nach Möglichkeit gar nicht mehr auf. Doch obgleich er innerlich über Ossian oft kochte, sagte er sich: Er meint es ja gut. Wahrscheinlich provoziert er mich mit Absicht, um meine Selbstbeherrschung zu prüfen. Also beweise ich sie ihm. Da mag er sich noch so viele Verneigungen vorführen und mich vor seinen Augen auf- und abgehen lassen, um über meinen Gang zu spotten, ich werde höflich und freundlich bleiben.
Bewundernswert, wie Waldur das dann durchhielt.
Bald jedoch gelang ich ihm unbeabsichtigt bei Ossian ein Durchbruch. Sie saßen zum Mittagessen in einer Klause, als Ossian ihn