Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)
ganz in der anderen Richtung. Da ging es also auch nicht hin, sondern an den Klostermauern entlang zum oberen Tor. Was sollte das?
Gerade bei Sonnenuntergang kamen sie dort an, als die beiden Wachen das Tor schlossen. »Heda«, rief der eine Büttel. »Lass das Tor offen!«
»Ja, was soll denn das schon wieder?«, wollte die Wache wissen.
Sie blieben stehen und Luzia senkte tief den Kopf. »Du lässt das Tor offen und der zweite kommt mit uns. Der Herr Oberamtmann will die Alte nicht im Rathaus haben, weil das Pack sich beschwert wegen des Lärms. Lediggänger und Pflastertreter sind es, die sich herumtreiben und die Amtsleute beschuldigen! Wir sollen sie in die St. Godehards-Kapelle auf dem Frankenberg bringen. Und wehe dir, wenn das Tor geschlossen ist, bis wir wiederkommen!«
Natürlich maulte der Wachmann und derjenige noch viel mehr, der sie begleiten sollte.
»Ja bin ich denn die Eskorte des Erzbischofs? Als solche stünde mir doch wohl mehr Lohn zu.«
»Tu deine Pflicht, sonst stehen dir Hiebe zu.«
»Du Blaustrumpf bist natürlich was Besseres als wir alle zusammen. Das wissen wir ja allemal.«
Damit beließ er die Nörgelei, denn die Büttel hatten eindeutig den besseren Zugang zum Amtmann.
»Ihr Herren, was wirft man mir denn vor?«, versuchte Luzia es noch einmal, was ihr einen derben Stumper in den Rücken von der Torwache einbrachte, die hinter ihnen her trottete.
Der Weg war nicht weit, aber steil. Luzia beglückwünschte sich, dass sie ihre Schuhe vom Schuster bekommen hatte, denn hier durchbrachen so viele Steine den Boden, dass sie sich barfuß blutig gelaufen hätte. Die Männer nahmen keine Rücksicht auf sie, sondern zerrten sie erbarmungslos mit sich. Keiner von ihnen kam auf die Idee, ihr etwa das Bündel abzunehmen. Andererseits war sie froh, dass sie es nicht einfach irgendwohin wegwarfen. Je steiler der Weg, desto schweigsamer wurden die Männer, bis sie schließlich nur noch ab und zu einen Fluch ausstießen, wenn sie einen Fehltritt taten. Auch Luzia stolperte häufig, wurde jedoch unerbittlich weitergezogen. Bald konnte sie den Weg nicht mehr unter ihren Füßen sehen.
Endlich schimmerte die Wand der Kapelle durch die Äste. Niemand hielt sich hier nachts auf. Vormittags kam einer der Brüder vom Kloster und sah nach dem Rechten, aber jetzt lag hier alles still. In der Kapelle war Luzia schon oft gewesen. Auf einmal spürte sie gar keine Furcht mehr. Es gab ein Kirchenschiff mit Bänken, Altar und Kanzel, ein Fenster war wunderschön bunt verglast, die übrigen klein und offen. Wenn man sie dort einsperrte, rannte sie schneller davon, als sie die Tür verschlossen. Für die alte Frau, die sie in ihr vermuteten, schien es vielleicht unmöglich zu entkommen, aber Luzia wusste sich durch kleinste Löcher zu schlängeln und an glatten Fassaden zu klettern.
Die drei Männer keuchten allesamt, als sie oben waren, und auch Luzia ließ sich Erschöpfung überdeutlich anmerken. Schwer hing sie im Griff der Männer. Der erste Büttel öffnete die Tür und stieß sie vorwärts, der zweite ließ sie dabei nicht los, sodass sie beinahe fiel. Sie sank auf ein Knie und musste halb hochgehoben werden, als es weiterging. Warum gingen sie nicht einfach wieder und machten die Tür zu?
Der erste Büttel vergewisserte sich, dass die Stadtwache am Eingang stehen blieb und der zweite sie fest im Griff hatte. Er lief voraus zum Altar und verschwand hinter der Kanzel. Der Zweite schob sie ihm hinterher. Wohin wollten sie denn mit ihr? Wollten sie etwa … Nein. Niemals. Sie war eine alte, hässliche Frau, und sie würden doch niemals auf dem Altar …
Hinter der Kanzel entdeckte sie in den Boden eingelassen eine Klappe. Das überraschte Luzia. An dieser Stelle war sie noch nie gewesen. Sie stockte im Schritt. Nein, dort hinunter wollte sie auf gar keinen Fall. Ihr Atem wurde hektisch bei der Überlegung, was sie dort wohl erwartete. Dort unten konnten sie ja mit ihr machen, was sie wollten! Als der Büttel sie weiter zog, trat sie einen Schritt zur Seite und bekreuzigte sich vor dem Altar. Das ließ er zu, lockerte aber nicht seinen Griff. Sie konnte sich kurz umsehen. Der Büttel nahm ein Wachslicht aus einer Nische, steckte es in einen Ständer mit Henkel und Teller und entzündete es an einem brennenden Docht vom Marienaltar, bevor er die Klappe öffnete und herunterstieg. Luzias Gedanken überschlugen sich noch auf der Suche nach einem Fluchtplan, als der Zweite sie schon hinterher stieß. Es war
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