Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)
Wir sind Freundinnen. Mittlerweile habe ich das Gefühl, wir wären miteinander aufgewachsen. Wenn wir gegenseitig so das Leid klagen, die intimsten, geheimsten Dinge sagen, sind wir wie Schwestern. Mir ist ja lange nicht so Schreckliches passiert wie ihr. Ich verstehe, dass sie sich dort unten am liebsten eingraben will. Irgendwann müssen wir sie herausholen. Das geht aber nur ganz behutsam und liebevoll. Sie wird Jahre brauchen, bis ihre Seele wieder gesund ist.«
Lukas biss die Lippen zusammen und sah geradeaus. Luzia wusste in diesem Moment genau, dass er alles für seine Schwester tun würde. Sein Hass auf Noß brannte tief, aber er loderte nicht so, dass er seinen kühlen Kopf verlor. Aus seinen Erzählungen entnahm sie, dass er sich bisher immer zu beherrschen
wusste. Wollte sie etwas unternehmen, war Lukas der beste Partner dafür.
Wenn doch nur ein Teil seiner Fürsorge auch ihr gelten würde! Bei diesem Gedanken schämte Luzia sich. Welchen Grund hätte er denn dafür?
An der Laboratoriumstür zögerte sie. »Wollt Ihr keinen Dampf auslassen?«
»Nicht mehr nötig. Trines Brüder besuchten … zufällig die Nachbarin und entdeckten den Spitzel des Zentgrafen. Solche Prügel hat er wohl noch nie bezogen! Seitdem kümmert sich eine Freundin von Trine um die alte Dame und passt auf. Niemand beobachtet uns mehr.« Das beruhigte sie ungemein.
Der Advokat war genauso, wie sie ihn sich vorgestellt hatte, nur, anders als Bichler, ein langer Schlackel. Sein korrekter Anzug und die wirre Frisur machten einen widersprüchlichen Eindruck, in seinen Augen blitzte aber hinter dicken Augengläsern ein erfreulicher Scharfsinn. Sie machte artig einen Knicks, der Anwalt kam auf sie zustolziert und gab ihr einen Handkuss. »Ah, Jungfer Magdalene, da seid Ihr ja! Ihr gestattet, dass ich zunächst …«
Es fiel Lukas schwer, seinen Redefluss zu unterbrechen. »Herr Advokat, bitte, es handelt sich nicht um meine Schwester! Leider ist sie noch nicht so wohl auf, dass sie sich Euch vorstellen kann. Dies ist Jungfer Luzia Heußer, die Zeugin.«
»Ah!« Er betrachtete sie eingehend, wobei er durch seine Augengläser schaute und auch darüber hinweg. Schließlich setzte er sich und kruschelte in seiner Aktenmappe, bis er ein frisches Papier gefunden hatte. Umständlich schraubte er ein Tintenfass auf und tauchte eine zerrupfte Feder hinein. »Dann bräuchte ich als erstes deine Personalien, Jungfer … Luzia Heußer. Wie schreibt man das? Woher bist du gebürtig?«
Sie warf Lukas einen hilflosen Blick zu. »Das ist nicht ganz so einfach. Ich komme aus Frankfurt am Main.«
»Eine Freie Reichsstadt! In der Tat, nicht ganz so einfach. Dort gibt es ganz andere Gesetze. Nun, das meistern wir. Eine Meldebescheinigung bekomme ich ja wohl.«
»Dessen bin ich mir nicht sicher.«
Überrascht hob er den Kopf und sah von seinen schon zahlreichen Notizen hoch. »Wie?«
Lukas legte seine Hand auf Luzias Unterarm. »Lasst mich erklären, Herr Doktor Patrizius.« Lukas warf Luzia einen warnenden Blick zu, dann entspann er eine rührselige Geschichte, in der Luzia die verarmte Tochter eines Schlossmachers war und ihren Lebensunterhalt als Krämerin verdiente. Natürlich kam auch der Verlobte auf Wallfahrt vor. Die Maskerade als Zigeunerin erklärte er mit der Flucht vor den Nachstellungen frecher Burschen. Luzia musste zugeben, dass er nichts vergessen hatte und alles passte. Sie war eine ehrbare Jungfer, die ihre Tugend verteidigte. Vor allem stand sie nicht als Hexe da, wenn es auch vor einem Mann war, der Hexen vor Gericht verteidigte.
»So also kam sie in den Keller der Kapelle«, überlegte der Advokat. »Eine außerordentliche Geschichte. Wenn nicht Ihr es mir erzähltet, Herr Doktor Wegener, es wäre doch zu phantastisch. Nun, ich liebe phantastische Geschichten und habe in meinem Leben schon so viele davon gehört, die sich dann als wahr herausstellten, dass mein Geist sich aufnahmefähig zeigt. So können wir das aber nicht vor Gericht verwerten, dem stimmt Ihr mir zu? Du, Jungfer Luzia, flohst also wegen eines Mannes aus dieser Stadt Amorbach. Glaubhaft. In deinem Alter musst du dich sputen, unter die Haube zu kommen. Nur für den Fall, dass jemand fragt, solltest du die Augen niederschlagen und von Schicksalsschlägen reden, dass du noch nicht verheiratet bist. Wunderbar mit der Wallfahrt, ganz wunderbar. Nun, dann denke ich, die Ursache deiner Verkleidung, die ja ganz erhebliche Wellen schlug, wäre vielleicht am besten das
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