Die Hexe und der Herzog
Bibiana sagen?«, rief Rosin lachend. »Sie ist die Älteste von uns allen und doch immer die Erste und die Letzte in der Sillschlucht!«
»Wir müssen künftig noch vorsichtiger sein.« Barbaras sommersprossiges Fuchsgesicht wirkte plötzlich angespannt. »Ich hab da immer wieder etwas knacken hören. Wetten hätte ich können, dass uns jemand heimlich belauscht, vor allem, als Hella sich so böse verbrannt hat …«
»Du siehst Gespenster«, sagte Rosin. »Hella war bloß unvorsichtig, und das nicht zum ersten Mal. Da war keine Menschenseele. Ich hab schließlich die ganze Umgebung zuvor gründlich mit meiner Fackel abgesucht. Niemand außer uns sechs.«
»Eigentlich sollten wir längst wieder zu siebt sein«, sagte Wilbeth, und die anderen beiden nickten. »Wann wohl Els ihre Nichte endlich einweihen wird?«
»Hoffentlich bald«, erwiderte Barbara. »Lena ist inzwischen erwachsen genug, um auch meine Dienste demnächst einmal in Anspruch zu nehmen.« Sie packte ihren Umhang, und auch Rosin machte sich zum Gehen bereit. »Jetzt muss ich aber nach Hause. Sonst macht Jockel sich noch auf den Weg, um mich zu suchen. Die Leute aus dem Obergeschoss sind schon wieder aufsässig. Wenn das so weitergeht, werden sie sich eine neue Bleibe suchen müssen, ob die Frau nun ständig krank ist oder nicht.«
Wilbeth war es recht, dass die beiden sie verließen. Sie legte Holz im Ofen nach und wartete, bis das Wasser im großen Topf zu blubbern begann. Dann goss sie davon in den Becher, in den sie zuvor getrocknete Kamillenblüten gegeben hatte, ließ den Tee ziehen und trank ihn später in kleinen Schlucken.
Etwas war ihr schwer auf den Magen geschlagen, und bis jetzt hatte sie sich nicht so recht wieder davon erholt.
In der Hand der Spiessin hatte sie den Tod gesehen.
» Bella mora !« Er trat von hinten an Els heran und griff ihr mit zwei Fingern in den Nacken. »Wie sehr hab ich mich nach dir gesehnt!«
Sie fuhr herum. Keine Spur von einem Lächeln in ihrem schmalen Gesicht. Die ungebärdigen Locken, die er so liebte, waren zu einem Zopf geflochten, aus dem sich bereits wieder Strähnen gelöst hatten. Aus einiger Entfernung hätte man Els noch immer für ein Mädchen halten können, so klein und schlank war sie geblieben. Doch die schwarze Els, wie man sie in ganz Innsbruck nannte, war Mutter und seit Jahren verwitwet. Aus der Nähe sah man zudem die winzigen Fältchen, die sich um ihre dunklen Augen gebildet hatten.
»Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst mich nicht so erschrecken! Wie ein Dieb durch den Hintereingang zu schleichen – willst du, dass ich dir demnächst aus Versehen einen Krug überziehe?«
»Vorn war schon … abgesperrt.« Er hatte so lange in Italien gelebt, dass er inzwischen manchmal nach dem passenden deutschen Wort suchen musste. » La vecchia Bibiana hat es offenbar wieder einmal zu gut gemeint. Da bin ich eben so gekommen.«
Antonio de Caballis zog sie an sich.
»Drei endlose Nächte ohne dich. Das ist mehr, als ein armer Fremdling ertragen kann. Schon gestern war es kaum mehr auszuhalten, aber du wolltest mich ja unter keinen Umständen zu dir lassen, obwohl ich drauf und dran war, eifersüchtig zu werden.«
Es ging ihn nichts an, wo sie die vergangene Nacht verbracht hatte. Und in welcher Gesellschaft. Bis jetzt war es Els gelungen, diesen Teil ihres Lebens ganz von ihm fernzuhalten, und so sollte es auch weiterhin bleiben.
Er streckte die Arme aus, lächelte.
Obwohl sie jetzt lieber allein geblieben wäre, konnte sie ihm nicht böse sein. Nicht, wenn er sie mit diesem sehnsuchtsvollen Blick ansah. Els schmiegte sich an ihn, dabei waren ihren Gedanken noch ganz bei Lena. Hella hatte sie nach Hause gebracht, viel zu spät, mit besudeltem Kleid und einer Wunde auf der Stirn. Dazu hatte sie eine seltsam verworrene Geschichte über den Prunkschlitten des Herzogs aufgetischt, der Lena versehentlich überfahren habe. Von Lena selbst war so gut wie nichts herauszubekommen gewesen, sie hatte etwas von Kopfschmerzen und dringender Ruhe gemurmelt und sich schnell nach oben in ihr Bett verzogen.
Und dann war Hella endlich mit dem Wesentlichen herausgerückt: Lena war zum Herzog vorgelassen worden und sollte ab morgen in seiner Gesindeküche arbeiten.
Antonio schien Els’ geistige Abwesenheit zu bemerken. Er schob sie ein Stück von sich weg und musterte sie aufmerksam.
»Wohin sind deine Gedanken geflogen, Elisabetta? Bei mir sind sie jedenfalls nicht.«
»Da hast du recht.«
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