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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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entfernen sich.«
    Wie wollte er das wissen? Besaß er eine Hundenase oder die Augen eines Falken? Oder womöglich wirklich die teuflischen Sinneskräfte eines Werwolfs?, schoss es Ambrosius durch den Kopf, aber diesen Gedanken verbot er sich sofort wieder. Es war schlimm genug, in den Fängen menschlicher Übeltäter zu stecken. Wenn es eine Ausgeburt der Hölle war, die ihn in den Klauen hielt, würde er womöglich den Verstand verlieren.
    »Lass uns den Pfaffen aufknüpfen – er wird uns verraten«, maulte der Lutheraner, als sie wieder auf den Weg zurückkehrten.
    »Und wer wird für dich beten, wenn du in die Hölle einfährst, die dich zweifellos erwartet?«, grinste Marx.
    »Jedenfalls kein Scheißpapist!« Aber natürlich würde der Kerl wie alle, denen der Tod den knöchernen Arm um die Schulter legte, willig in den Schoß der heiligen Kirche zurückkehren. Denn anders als die protestantischen Abweichler mit ihren unglaubwürdigen Versprechungen einer allumfassenden göttlichen Gnade bot ihm die katholische Kirche eine handfeste Beichte mit einem detaillierten Bußkatalog und einer Garantie auf Gottes Vergebung.
    Marx lächelte sarkastisch, als hätte er den gleichen Gedanken gehabt. »Du hütest unser Pfand für das Seelenheil«, beschied er Jost. »Der Rest kommt mit mir.« Er gab dem Schimmel die Sporen, und dann machten sie sich auf zu ihrem Geschäft des Raubens und Mordens.
    Allerdings ließen sie sich für den Überfall Zeit. Offenbar wollten sie die Abenddämmerung oder die Nacht abwarten. Ambrosius, der gefesselt neben Jost im Unkraut kauerte und trübe ins Tal hinabstarrte, sah Stunde um Stunde verstreichen, ohne dass sich bei dem Gehöft etwas rührte. Jost kaute auf einem Grashalm. Er war ein schmächtiger Mann, drahtig, mit einem raschen Blick, der auf einen ebenso raschen Verstand schließen ließ.
    Herr im Himmel, dort unten werden Menschen sterben, und ich sitze hier wie eine Glucke auf dem Ei, dachte Ambrosius niedergeschlagen. Weitere Minuten verrannen, in denen er verzweifelt darüber grübelte, wie Gott sich die Sühne für die Schwachheit seines Fleisches vorstellen mochte. Er hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen, nur wusste er nicht, was. Schließlich versuchte er es mit einer Unterhaltung. »Geht es dir gut, mein Sohn?«
    Jost brummte etwas und meinte mit einem Grinsen: »Besser wär’s mit einem Schinken im Maul und ein Fass Bier hinterdrein.«
    Schön, das war eine vernünftige Ansicht, die auf ein offenes Gespräch hoffen ließ. Ambrosius räusperte sich. »Du bist schon lange mit Marx von Mengersen unterwegs, nicht wahr? Hast ihn schon gekannt, bevor ihr euch hier zusammengerott… -gefunden habt. Alte Kameraden oder so?«
    Das Knurren, das folgte, konnte alles und jedes bedeuten. Immerhin befahl ihm der Mensch nicht zu schweigen.
    »Man gerät in diese oder jene Lage«, philosophierte Ambrosius, »und oft genug ist es das Schicksal, das uns hineinstößt. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe ja tausendfach die Beichte gehört. Aber was kann man tun, als armes Blatt, das vom Wind getrieben wird? Außer natürlich die Heiligen um Kraft anflehen, was aber nicht immer auf der Stelle hilft und manches Mal, nach dem Willen des allmächtigen Schöpfers, auch gar nicht, jedenfalls nicht aus der armseligen Sicht von uns Sterblichen. Wir sind Getriebene unserer Ängste.«
    Jost stand auf, bog einige Zweige beiseite, schaute zu dem reetgedeckten Haus mit der geräumigen Scheune an der Seite und setzte sich wieder.
    »Im Krieg ist es schwer, ein anständiger Mensch zu bleiben. Er verkrüppelt die Seele.« Ambrosius versuchte, seine Feststellung nicht wie einen Vorwurf klingen zu lassen, sondern wie eine verständnisvolle Bemerkung. Ob er das schaffte, war aus Josts Gesicht nicht abzulesen.
    Wieder verrann Zeit, und sein Hintern, der das lange Sitzen auf dem harten Boden immer noch nicht gewohnt war, begann zu schmerzen. Unauffällig musterte Ambrosius das Gehöft. Wenn Gott ihm doch bloß ein Zeichen gäbe! Es musste doch einen Grund haben, dass er ihn an jenem verhängnisvollen Tag, als Marx ihn entführte, nicht sterben ließ. War es dabei um diesen Tag gegangen? Wollte der Schöpfer, dass er sein Leben für das der armen Bauernfamilie in die Waagschale warf? Aber was genau erwartete er dann? Sollte er sich heldenhaft gegen Jost wenden? Nur um die Kehle aufgeschlitzt zu bekommen, ohne der Bauernfamilie von Nutzen gewesen zu sein? Nein, dachte Ambrosius. Meine Gabe liegt in der

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