Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
entgegen, den der Wirt ihm reichte, und prostete seinem Gegenüber zu.
»Ich habe begriffen, dass Euch viel daran liegt, Marx zu treffen«, erklärte Ambrosius, nachdem einige Zeit verstrichen war, ohne dass sich etwas tat, außer dass eine Hure einem aufdringlichen Kerl mit dem Schemel eins überzog. »Nun warten wir aber schon die vierte Nacht vergebens, was, wenn Ihr erlaubt, für meine Ansicht spricht, dass er tatsächlich tot ist. Wollt Ihr nicht einsehen …« Er verschluckte sich. Hustend beugte er sich über den Tisch. Als er wieder sprechen konnte, neigte er seinen Mund zu Julius’ Ohr und flüsterte aufgeregt: »Vergesst, was ich gesagt habe.«
»Seht Ihr ihn?« Julius war auf der Stelle hellwach. Er vermied es, sich umzublicken.
»Nein … nein. Nicht ihn selbst. Aber ich möchte behaupten, dass dort, neben der Hure mit dem Silberblick, einer seiner Kumpane sitzt. Jost Backes. Ein Schlitzohr, wie es im Buche steht. Der Herr hat ihn mit einer Glatze voller Muttermale gestraft, die aussieht, als hätte sich die Hölle über ihm erbrochen. Schaut nicht hin. Lieber gütiger Herr Jesus … Da geht er wieder. Er hat gesehen, dass ich ihn erkannte, oder was meint Ihr? Dieser Teufel! Wollt Ihr ihm folgen?«
Julius schüttelte lächelnd den Kopf. Er ahnte, dass das nicht nötig war. In ihm machte sich eine wohlige Zufriedenheit breit.
Doch als sich drei weitere Tage lang nichts tat, verließ ihn seine Zuversicht. Was, wenn der Mann in der Schenke nun doch nicht Jost Backes gewesen war? Oder wenn ihn nur der Zufall an den Ort verschlagen hatte?
Es war ein heiterer Septembervormittag, Julius saß auf der Gartenbank des Paters und sah ihm zu, wie er, nur mit einer vom langem Tragen ergrauten Unterhose bekleidet, gegen Ackerwinde und Günsel auf seinen Gemüsebeeten ankämpfte. Ambrosius schwitzte, was ihn aber nicht daran hinderte, Gottes Lob zu pfeifen. Da seine Gemeinde sich über etliche Dörfer verteilte, war er viel in Bewegung, und das hatte ihn in Form gehalten. Sein Oberkörper strotzte vor Muskeln. Schweißperlen rannen über seine weiße Haut. Er war bester Stimmung.
Wahrscheinlich hat er recht, und Marx ist tatsächlich tot, dachte Julius, während er bedrückt den Blick abwandte. Möglicherweise hatte die Tortur, die Marx auf der Wildenburg erdulden musste, ihn doch noch demütig gemacht. Vielleicht hatte er dort gelernt, was es bedeutete, sich zu fürchten, und es vorgezogen zu verbrennen, anstatt erneut seinem Peiniger in die Hände zu fallen. Was hält mich eigentlich davon ab, ihm ein wenig Menschlichkeit zuzugestehen?, fragte er sich.
Unzufrieden erhob er sich und ging zu dem windschiefen Schuppen, der in einer Ecke des Gartens zwischen violetten Astern stand. Zumindest konnte er seinem Gastgeber ein wenig bei der Arbeit helfen. Er öffnete die Tür, Spinnen flüchteten vor dem Lichtschein, eine Maus huschte die Wand hinauf. Mit spitzen Fingern kramte er eine Hacke hervor.
Als er zurückkehrte, hatte Ambrosius sich zu einem Päuschen auf seiner Bank niedergelassen. Plötzlich flatterten von einem Bachlauf, wo Ambrosius in einer Sickergrube die Abfälle und seinen Nachttopf entleerte, Rabenkrähen auf. Es war ein abgelegenes Plätzchen, an dem nur einige Sträucher wuchsen. Julius suchte nach dem Tier, das die Krähen aufgescheucht hatte, konnte aber keines entdecken. Ambrosius, der die Hacke bemerkte, verwickelte ihn in einen freundschaftlichen Streit darüber, ob es rechtens sei, einen Gast zur Arbeit heranzuziehen.
»Hat der Herr selbst uns nicht befohlen, unser Essen im Schweiße unseres Angesichts zu verdienen?«, scherzte Julius.
»Das hat er, aber Ihr seid, verzeiht mir die Offenheit, eher zart gebaut, mein Sohn. Was kein Wunder ist, denn Ihr seid ja ein Gelehrter und Stubenhocker, und da können sich keine Muskeln bilden. Wobei ich nicht sagen will, dass darin ein Makel läge, bin ich doch selbst ein Mann des Geistes …«
»Ich breche Euch schon nicht zusammen«, versicherte Julius.
Ambrosius stand auf und legte ihm den Arm um die Schulter – das war eine Marotte von ihm, die Julius ein wenig auf die Nerven ging. Er entzog sich dem Griff, indem er sich auf den Quergriff der Hacke stützte. Wieder flogen Vögel auf, dieses Mal hinter dem Geflügelstall, durch dessen Fensterluke man die Schlafstangen für die Hühner sehen konnte. Sie retteten sich aufs Stalldach und schimpften über den Störenfried, der sie vertrieben hatte.
»Wisst Ihr«, meinte Ambrosius versonnen, »am
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