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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Glaesener
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bitten konnte? Nein, das wäre zu beschämend. Sie kannte ja auch niemanden. Ein an einem Bach gelegenes Häuschen mit einem krummen Gartenzaun erregte ihre Aufmerksamkeit. War das nicht das Pfarrhaus? Sie hatte Pater Ambrosius nur wenige Male gesehen – flinke Augen und schütteres Haar, das nur aus den Nasenlöchern noch reichlich quoll, an mehr erinnerte sie sich nicht. Aber er war ihr freundlich vorgekommen und hatte ihr stets Respekt erwiesen.
    Hatte Julius Drach gesagt, er sei wiederaufgetaucht? Der Mann wollte ihn doch besuchen, oder? Sie erinnerte sich nicht allzu genau an das, was in den Tagen nach der Geburt gesprochen worden war. Im Grunde war es ja auch gleich. In einem Pfarrhaus würde sie am ehesten Unterstützung finden. Und dann kam ihr ein neuer Gedanke, der sie erleichterte: Sie würde Ambrosius bitten, sie zu begleiten. In seiner Gegenwart würde Marsilius sich mäßigen, das wusste sie. Seine Angst vor dem Jenseits und Gottes Strafgericht war gewaltig! Vielleicht würde der Pfarrer ihm sogar ins Gewissen reden und ihn auf die Heiligkeit der Ehe hinweisen, so dass sich alle Probleme lösten …
    Mit dieser vagen Hoffnung brachte Sophie die kleine Strecke hinter sich.
    Das Häuschen war noch winziger und heruntergekommener, als sie angenommen hatte. Die Nachmittagssonne schien auf ein Strohdach, auf dem Vogelkot unzählige weiße Tupfer hinterlassen hatte. Das Fachwerk war vom Holzwurm durchlöchert, der Zaun im hinteren Teil des Gartens niedergetreten und der Garten selbst in einem traurigen Zustand, wenn man ihn mit dem ihrer Mutter verglich.
    Sophie schritt über die rumpligen Steine, die zum Haus führten, und stieß die Tür auf. Sie fand den Pfarrer auf den Knien vor einem kleinen Altar, über dem der Heiland am Kreuze hing. Das gequälte Gesicht des Geistlichen war mit Tränen benetzt. Er schien dem Herrn wahrhaftig sein Herz auszuschütten. Betreten blieb Sophie stehen. Es war ihr peinlich, den Gottesmann in echter Seelenqual zu ertappen. In der Bevölkerung wurde so viel über das heuchlerische Leben der Geistlichkeit gespottet, dass sie gar nicht damit gerechnet hatte, an einen glaubensvollen Mann zu geraten. Ambrosius schluchzte ein letztes Mal auf, als er sie bemerkte, dann erhob er sich von den Knien. Erstaunlicherweise erkannte er sie trotz ihres desolaten Zustands sofort wieder und bot ihr den einzigen Stuhl an, den es in seiner Behausung gab.
    Sophie hatte sich vorgenommen, beherrscht und würdevoll zu sprechen. Doch schon die erste mitfühlende Frage nach ihrem Befinden ließ sie in Tränen ausbrechen. Und so erfuhr Ambrosius – er war es wirklich, die Haare quollen bis zur Oberlippe – alles, was sich in Breitenbenden und zuvor in der Wildenburg und später auf ihrem Weg nach Hause zugetragen hatte.
    »Sie haben keinen Respekt, sie pfeifen jedem Mädchen hinterher, dieses Pack auf den Straßen«, brachte er mitleidig hervor und kratzte die kahle Mitte seines Kopfes.
    Nun ja, die Wandergesellen waren nicht das Wichtigste. Hatte er verstanden, was sie über Edith gesagt hatte? »Sie ist eine abgrundtief verdorbene Frau, Pater. Mehr noch, sie ist eine Hexe. Ihr müsst mir das glauben. Sie hat sich mit dem Bösen verbündet. Sie zaubert. Ich war dabei«, erklärte Sophie mit Nachdruck.
    Ambrosius wiegte den Kopf. »Was Ihr mir geschildert habt, hört sich wirklich übel an«, gab er zu. »Andererseits …«
    »Andererseits was? Ich habe gesehen, wie sie hexte. Sie hat mit schwarzen Kerzen und Tierschädeln hantiert und … und murmelte und … sie hat ein Wachsbild gefertigt.«
    »Ach!
    »Das meine Züge hat.«
    »Tatsächlich? Das ist nicht gut. Nein, ist es nicht. Aber bewahrt die Ruhe. Hier – wünscht Ihr einen Apfel? Er ist beruhigend fürs Gemü…«
    »Ihr habt Angst.« Natürlich. Ambrosius wusste wie jedermann, dass Marsilius in seine Hexe vernarrt war. Wie hatte sie nur annehmen können, dass er sich gegen den Mann stellen würde, der ihn ernährte? Er war ja nicht weniger abhängig von Marsilius als sie selbst.
    »Nicht doch, nicht doch. Ich wäge nur ab. Wenn es um Zauberei geht, schießt man nicht ins Blaue. Aber Ihr habt recht: Man muss auch überlegen, wie Euer Gemahl reagieren würde, wenn ich ihm Eure Beschwerden vortrüge. Was, glaubt Ihr, würde er erwidern?«
    Entmutigt senkte Sophie den Kopf. »Er würde seine Hure schützen.«
    »Er würde darauf hinweisen«, erklärte Ambrosius, erleichtert, sie einsichtig zu sehen, »dass er das Weib nicht als Hure

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