Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
höhnisches Krächzen füllte die Stille.
»Gott steh uns bei«, entfuhr es dem Rothaarigen.
Weitere Schüsse fielen. Die Männer feuerten, sie luden nach, sie feuerten erneut, allesamt mit Grauen im Gesicht. Nur Julius blieb still sitzen. Und Marx, dem das Blut über die Stirn und die Nasenwurzel zum Mundwinkel strömte. Als sich der Rauch der Explosionen verzogen hatte, war der Rabe verschwunden.
»Gott steh uns bei«, flüsterte der Rothaarige erneut. »Nun weiß die Hexe, dass wir leben. Und ihr Buhle weiß es auch.«
Sie waren bedrückt, als sie schlafen gingen, aber sie hatten gedacht, für den Moment hätten sie es hinter sich. Und dann wären sie fast verbrannt. Es geschah kurz vor dem Morgengrauen. Der Jüngste aus der Gruppe der Schnapphähne, ein Bengel, kaum älter als fünfzehn oder sechzehn, hatte die Wache gehabt. Er war offenbar ebenfalls eingenickt und wurde erst aufmerksam, als die Flammen schon mehrere Büsche in Brand gesetzt hatten. Kreischend weckte er die Männer. Die Flammen sprangen da bereits auf das Unkraut über, in dem sie schliefen, und, schlimmer noch, sie züngelten an dem Strauch empor, an dem die Pferde angebunden waren. Um Sophie zerbarsten Zweige mit roten Funken.
Marx brüllte Befehle. Sie hatten kein Wasser, aber er sorgte dafür, dass die Pferde losgebunden wurden und mit dem Gepäck aus der Gefahrenzone kamen. Entsetzt stand Sophie am Rande des hektischen Treibens, während das Feuer knisternd nach neuer Nahrung suchte. Der Boden war glücklicherweise zu nass, als dass es sich weit hätte ausbreiten können. Nach und nach erloschen die Flammen. Während Sophie immer noch schockiert auf den Qualm und die schwarzen Flecken starrte, die wie ein hässlicher Ausschlag den Waldboden bedeckten, suchte Marx mit Jost und zwei weiteren Männern die Umgebung ab. Sie befürchteten offenbar einen Überfall. Doch alles blieb friedlich. Die Männer kehrten zurück, und die letzten Flammen wurden niedergetreten.
Sophie schlug die Hand vor den Mund, als Marx auf den nachlässigen Wächter zuging und ihn mit einem Faustschlag zu Boden schickte. Sie hatte ihn noch nie so aufgebracht gesehen. Er zog seine Pistole, und einen Moment dachte sie, er würde den Jungen erschießen. »Na, na«, brummte Jost, der als Einziger nicht völlig erstarrt war, und legte seinem Hauptmann die Hand auf den Arm. Doch Marx spannte nur den Hahn und wechselte den Flintstein aus. Die Kälte in seinen Augen allerdings blieb. »Nun?«, fragte er den Jungen.
»Ich wollt’s nicht, Hauptmann, aber ich war so müde.« Der Junge rappelte sich wieder auf. Seine Lippe war eingerissen, und Blut mischte sich mit dem Ruß auf seiner Haut. »Es war der Rabe«, flüsterte er. »Ich hab ihn über das Feuer fliegen sehen. Davon bin ich aufgewacht. Er hat die Flammen mit seinem Flügel entfacht und weitergetragen.«
Die Blicke der Männer wanderten unwillkürlich zu den Baumkronen. Auch Marx schaute hinauf. Er musste Augen wie ein Falke haben, denn als er die Pistole hob und schoss, raschelte es in den Blättern und der Vogel fiel herab. Oder ein anderer. Jedenfalls war es ein Rabe. Sie starrten auf das zerfetzte Tier, das in seinem Blut lag. Der Junge bekreuzigte sich.
»Ihr seid ja närrisch. Es ist ein Funke aus der Glut gesprungen und hat sich ausgebreitet«, sagte Julius in die Stille.
»Ein Funke entzündet ein Feuer in Gras und Moos, die so nass sind, dass man sie auswringen könnte?« Marx gab seine Pistole an einen seiner Männer weiter, der eilig die Pulverpfanne nachfüllte. Er beobachtete die Büsche. Aus der Dunkelheit schälten sich Nebelschwaden, die wie Feenschleier in den Zweigen hingen und vom Morgenlicht glänzten. Sonst rührte sich nichts.
»Hauptmann, ich glaube, du solltest was erfahren. Los, Hayo, erzähl!« Jost versetzte einem Mann mit einer lächerlichen Anzahl Schleifen an den Strümpfen einen Stoß mit dem Flintenlauf.
»Was denn? Oh …« Der Kerl trat nach einem vorsichtigen Blick auf seinen Anführer einen Schritt zurück. »Dachte nicht, dass es wichtig wäre. Jedenfalls … Ein Weib, Hauptmann.«
»Er hat sie gestern gesehen«, ergänzte Jost, der sich als Einziger niemals vor Marx zu fürchten schien. »Hayo hat sich gewundert, weil sie fern von jeder Siedlung und völlig allein durch den Wald schlich, aber andererseits war sie unserem Lager nicht so nah, dass es ihn gekratzt hätte. Er hat sie für ’ne Köhlerin oder Streunerin gehalten. Nach dem Feuer bin ich mir aber nicht mehr
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