Die Hexe von Freiburg (German Edition)
schließlich nicht gefallen lassen.»
Ein andermal klagte er über die langweiligen Lehrkräfte und Studieninhalte: «Hätte ich nur schon mein Bakkalaureat hinter mir. Diese stumpfsinnige Nachbeterei halte ich nicht mehr aus. Da kehre ich lieber zu meinem Vater zurück und mache eine Kaufmannslehre.»
«Was ist das, ein Bakkala-Dings?», fragte Catharina. Sie war fasziniert von diesen Einblicken in eine ihr gänzlich unbekannte Welt.
«Wenn man Recht, Medizin oder Theologie studieren möchte, muss man zuerst so eine Art Grundausbildung hinter sich bringen, die mit dem Bakkalaureat abgeschlossen wird. Das heißt, es studieren erst einmal alle Studenten dasselbe.» Er versuchte, mit einfachen Worten die Inhalte der «artes liberales» zu erklären.
«Rhetorik, Geometrie, Musik, Astronomie», wiederholte Catharina. «Das klingt doch alles sehr geheimnisvoll und interessant.»
«Könnte es vielleicht sein. Aber wir hocken wie eine Herde blöder Schafe vor unserem Professor, meist einer von diesen vertrockneten Jesuiten, der nach der ‹lectio› alles noch einmal mit anderen Worten erläutert und uns anschließend eine Zusammenfassung diktiert. Die müssen wir auswendig lernen, denn abends fragt uns der Repetitor ab. Und das alles noch auf Latein!»
«Auf Latein!», rief Barbara aus. «Bitte sagt doch einmal etwas auf Latein.»
«Initium sapientiae timor domini. Das bedeutet: Der Eingang zur Weisheit ist die Gottesfurcht. Diesen Spruch müssen wir uns jeden Morgen anhören.»
Die Köchin schien vom Wissen ihres Schützlings ganz hingerissen, und Anselm ließ sich ihre Bewunderung gern gefallen.
«Und was möchtest du später werden?», fragte Catharina ihn.
«Richter oder Advokat», kam ohne Zögern die Antwort.
Wie ein trockener Schwamm sog Catharina Anselms Berichte und Erlebnisse seines Studienalltags in sich auf. An Sonntagen allerdings, wenn er den ganzen Tag zu Hause war, oder an seinen vorlesungsfreien Donnerstagen konnte ihr die Gesprächigkeit des Jungen schon einmal zu viel werden. Dann flüchtete sie zu ihrer Freundin Margaretha Mößmerin, mit der sie sich seit Bantzers Tod wieder regelmäßig traf, und genoss die Ruhe und Behaglichkeit in ihrer kleinen rauchgebeizten Stube.
Margaretha lebte von der bescheidenen städtischen Rente, für die sie die ständigen Reibereien mit ihrem Vormund gleichmütig auf sich nahm, und besserte ihr Haushaltsgeld mit Näh- und Stopfarbeiten auf. Die kleine Anneli, ihre Enkelin, hatte ein sanftes, zärtliches Wesen und kuschelte sich, wenn Catharina zu Besuch kam, wie ein Kätzchen an sie. «Gott hat ihr wenig Verstand, aber dafür ein großes Herz mitgegeben», hatte Margaretha einmal gesagt. Hin und wieder kam sie mit Anneli auch bei Catharina vorbei, meist in den frühen Abendstunden, doch spätestens nach ein, zwei Stunden zog es sie zurück in ihre eigenen vier Wände. Mit den Worten «Schön war’s bei euch» verabschiedete sie sich dann.
Christoph nannte das Haus zur guten Stund oft scherzhaft «Weiberburg», und Anselm, der sich durchaus als Mann fühlte, protestierte dann. Wie ein Gockel saß er in diesem Frauenhaushalt und ließ sich von allen Seiten umsorgen und verwöhnen. Amüsiert bemerkte Catharina die Eifersucht, die der Junge bei Christophs Besuchen jedes Mal an den Tag legte.
Wenn es irgend möglich war, kam ihr Vetter jeden Monat für zwei, drei Tage von Villingen heruntergeritten. Er hatte ein junges, ausdauerndes Pferd, und da er eine Abkürzung kannte, einen kleinen Köhlerpfad quer durch den Wald, brauchte er für den Hinweg nur einen Tag. Zurück, wenn es stetig bergauf ging, schaffte er es nicht ohne Übernachtung. Vor seinem Schwiegervater rechtfertigte er diese häufigen und nicht ungefährlichen Reisen nach Freiburg damit, dass er hin und wieder nach Anselm sehen wolle und dass seine Base in ihrer neuen Situation als Witwe seiner Unterstützung bedurfte.
Catharina hätte nie gedacht, dass Christoph sein Versprechen wahr machen und regelmäßig diese beschwerlichen Ritte auf sich nehmen würde. Unruhe und Angst plagten sie jedes Mal, wenn er unterwegs war.
Es wurde Frühsommer, und sie genossen die warme Sonne hinter dem Haus. Catharina hatte in dem Garten eine wahre Meisterleistung vollbracht. Mit Anselms Hilfe hatte sie den Hasenstall instand gesetzt und einen Freilauf für die Hühner eingezäunt. An der hinteren Mauer rankten sich Bohnen empor, neben dem Holunderbusch, den Catharina im Februar beschnitten hatte, wuchsen in
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