Die Hexe von Freiburg (German Edition)
plötzlich ein, dass sie eine Waffe brauchte. Kurz entschlossen nahm sie sich ein langes, scharfes Messer vom Bord und wickelte es in ein Küchentuch. Sie würde es ihrer Tante ja eines Tages zurückgeben.
Im Schatten der Hofmauer huschte sie in den Stall, zog sich hastig um und nahm aus ihrem Bündel die Nachricht an Marthe, die sie am Vortag verfasst hatte: «Liebe Tante, liebe Lene, ich muss mich auf meinen eigenen Weg machen. Seid unbesorgt, ich lasse so bald wie möglich von mir hören.» Sie legte das Blatt in den Lehmofen im Hof. Dort würde die Tante den Brief erst zur Backzeit am Nachmittag finden, und dann würde sie erst jemanden bitten müssen, ihn ihr vorzulesen. Vorsichtig schloss Catharina die quietschende Ofentür, als sie jemand heftig in die Seite stieß. Ihr Herz setzte aus vor Schreck. Sie drehte sich um, und vor ihr stand Jockl, der Ziegenbock. Catharina holte tief Luft.
«Du Mistvieh, mich so zu erschrecken.»
Sie tätschelte dem Tier das borstige Fell. Dann lief sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, durch den Obstgarten zum Fluss hinunter.
Die Dreisam glitzerte silbern im Mondlicht. Bald hatten sich ihre Augen an das Licht gewöhnt. Mit schnellen Schritten, um die Kälte und die Furcht zu vertreiben, lief sie auf einem schmalen Treidelpfad am Ufer entlang. Sie war noch nie nachts allein unterwegs gewesen, und die vielen Geräusche machten ihr Angst. Mal knackte es im Gebüsch, mal hörte sie den Ruf eines Käuzchens, mal scheuchte sie ein Kaninchen auf. Aber sie kannte den Weg, und von Räuberbanden hier in der Gegend hatte sie noch nie gehört.
Bald lag der Kirchturm von Betzenhausen weit hinter ihr, und sie näherte sich den Stadtmauern Freiburgs. Düster ragte der Burgberg in den Himmel. Um das Dörfchen Wiehre, das sich vor den Toren der Stadt den Fluss entlangzog, musste sie einen großen Bogen machen, denn es war verdächtig, um diese Uhrzeit in der Gegend herumzustreunen. Das sumpfige Gelände neben dem Fußweg musste der Nägelesee sein. Die Leute erzählten sich grässliche Geschichten von nächtlichen Hexensabbaten, die auf diesen morastigen Wiesen abgehalten würden. Catharina schauderte. Erhoben sich dort hinten nicht zwei Gestalten aus dem Schilf? Sie rannte mit klopfendem Herzen los, bis sie die Hütten der Sägemühle am Floßplatz vor sich sah. Von der Kartause oben am Wald hörte sie das tröstliche Gebimmel der Glocke, die die Einsiedler zur Frühmesse rief. Inzwischen fragte sie sich, ob sie noch ganz bei Sinnen gewesen war, als sie beschloss, mitten in der Nacht durch die Gegend zu wandern.
Erleichtert sah sie, dass sich der Himmel im Osten schon verfärbte. Catharina zog sich den Hut tiefer in die Stirn, als ihr die erste Gestalt dieses Tages in der Dämmerung entgegenkam: ein untersetzter Bauer mit einer Gans unter dem Arm, der ihr im Vorbeigehen zunickte. Kurz darauf erreichte sie einen heruntergekommenen Herrenhof, die Mauern ganz von Brombeerbüschen überwuchert. Dem Anwesen gegenüber erhob sich ein Hügel mit etwa zwei Dutzend Häusern und einer wehrhaft aussehenden Kirche. Das musste Ebnet sein.
Catharina bog in den ersten Weg ein, der den Hügel hinaufführte. Da raschelte etwas über ihrer Schulter. Erschrocken sah sie auf. Knarrend drehte sich das Seil des Galgens, an dem ein lebloser, zerlumpter Mann hing und mit seinen Füßen bei jeder Drehung durchs Gebüsch strich. Über seinem Kopf kreisten die Raben, die ihm längst die Augen aus den Höhlen gehackt hatten. Anstelle der Nase klaffte ein blauschwarz schimmerndes Loch.
«Ja, ja, schau ihn dir nur an, mein Junge.» Ein zahnloses altes Weib hatte sich ihr in den Weg gestellt. «Das ist Gottes Strafe, wenn man seine Hände nicht von anderer Leute Hab und Gut lassen kann.»
Catharina bekreuzigte sich und ging rasch weiter. Auf dem Kirchplatz setzte sie sich auf eine Steinbank und stärkte sich mit einem Stück Brot. Langsam füllte sich das Dorf mit Leben. Bis jetzt war ja alles gut gegangen, und die Alte hatte sie sogar für einen Burschen gehalten. Aber sie machte sich besser gleich wieder auf die Reise, bevor sie hier als Fremder auffiel. Dort unten, das musste die Landstraße Richtung Höllental sein. Als sie aufstand, merkte sie, dass ihr jetzt schon, nach gut zwei Stunden Fußmarsch, die Beine wehtaten. Hoffentlich würde sie bald jemand mitnehmen.
Aber sie musste noch fast bis Kirchzarten gehen, bevor endlich ein Pferdekarren neben ihr anhielt.
«Wo willst du hin?», fragte der Mann. Er sah
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