Die Hexe von Freiburg (German Edition)
konnte sie vor Aufregung nicht einschlafen. Sie war jetzt vierzehn, und viele Mädchen in diesem Alter mussten sich irgendwo als Dienstmädchen verdingen. Sie würde Ostern mit Christoph nach Villingen gehen und sich dort eine Arbeitsstelle suchen. Wer konnte sie daran hindern? Sie beschloss, nicht einmal Lene von ihren Plänen zu erzählen, und gab sich in den nächsten Wochen alle Mühe, bei den Gästen möglichst viel Geld einzustreichen.
Doch Ostern ging vorbei, und Christoph kam nicht. Er hatte ausrichten lassen, dass er nur zwei Tage freibekommen würde, und zwei Tage dauerte allein die Reise. Weder Lene noch Catharina konnten das verstehen.
«Wenn Onkel Carl so zufrieden mit ihm ist, muss er ihm doch erlauben, nach so langer Zeit seine Familie zu besuchen. Ich an Christophs Stelle hätte mich da jedenfalls besser durchgesetzt.» Lene ärgerte sich über ihren Bruder.
Marthes Enttäuschung schien sich in Grenzen zu halten. «Es wird schon seine Richtigkeit haben. Dafür kommt er ja im Sommer auf jeden Fall.»
Misstrauisch sah Catharina ihre Tante an. War sie vielleicht froh darüber, dass es zu keinem Wiedersehen zwischen ihr und Christoph kam? In ihr stieg langsam Wut auf. Den Winter hatte sie nur durch die Vorfreude auf seinen Besuch durchgestanden. Wer hatte das Recht, sie jetzt so vor den Kopf zu stoßen? Immer war ihr Leben von anderen gelenkt worden – jetzt würde sie es selbst in die Hand nehmen. Niemand sollte ihr mehr Vorschriften machen.
Sie holte ihre Geldkatze aus dem Versteck im Heuboden. Der Beutel war prall gefüllt mit Pfennigstücken und sogar zwei Silbermünzen. Ihr war nicht klar, wie weit sie mit diesem Geld kommen würde, aber immerhin, es war ein Anfang. Ihr Vorhaben nahm konkrete Züge an. Für eine Frau war es gefährlich, allein unterwegs zu sein. Aber für die kurze Zeit der Reise nach Villingen würde es ihr wohl gelingen, sich als Mann auszugeben.
Ihr Plan war einfach: In Kürze sollte in Villingen der große Markt stattfinden, wo sich auch Händler aus Freiburg und dem Rheintal einfanden. Als wandernder Handwerksbursche verkleidet, konnte sie sicherlich auf einem der Pferde- oder Ochsenkarren mitfahren. Sie musste nur weit genug von Lehen entfernt sein, bevor sie sich sehen ließ. Am besten würde sie noch vor Sonnenaufgang aufbrechen und bis zum Fuß des Gebirges versteckte Seitenwege nehmen. Das Risiko, dass ein Bekannter aus Lehen oder Betzenhausen sie in den Morgenstunden auflesen könnte, wäre sonst zu groß.
Es musste alles perfekt vorbereitet werden, denn in der Nacht ihres Aufbruchs durfte sie keine Zeit mehr verlieren. Kopfzerbrechen bereitete ihr allerdings, dass sie ihrer Tante zwar mitteilen wollte, sie solle sich keine Sorgen machen, andererseits aber einen ausreichenden Vorsprung brauchte. Einen Moment lang dachte sie daran, Lene einzuweihen, verwarf den Gedanken aber wieder.
In den nächsten Tagen verschwand sie immer wieder heimlich auf den Dachboden. Dort lagen in einer Truhe alte Kleider von Christoph und Marthes verstorbenen Männern. Vor einem verstaubten zerbrochenen Spiegel probierte sie alle Kleidungsstücke durch, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war. Die Hose aus dunkelrotem Tuch, Hemd und Wams stammten von Christoph, dazu ein schwarzer Umhang und ein etwas altmodischer Reisehut von ihrem Onkel. So musste es gehen.
Am Vorabend ihrer Abreise versteckte sie Kleider, Geldkatze und ihr Bündel mit etwas Proviant im Stall. Als sie zu Bett ging, hoffte sie inbrünstig, dass sie nicht verschlafen würde wie damals bei dieser kindischen Verwünschung. Lene erzählte ihr in aller Ausführlichkeit von einem schrecklichen Streit mit ihrem Schorsch, aber Catharina hörte kaum hin.
Sie wusste nicht, wie lange sie vor sich hin gedöst hatte, als das Bellen eines Hundes sie auffahren ließ. Durch das Fenster sah sie den Mond hell und fast rund am Himmel stehen. Umso besser: Das würde ihr helfen, die Schleichwege bis hinter Freiburg zu finden. Vorsichtig stand sie auf und zog ihre Filzstiefel unter dem Bett hervor. Sie lauschte: Im Haus war alles still. Auf Zehenspitzen schlich sie in die Küche, suchte sich einen Kienspan, hielt ihn in die Herdglut und machte Licht. Dann schnitt sie schweren Herzens ein langes Stück von ihren dichten, schwarzen Haaren ab. Sie reichten jetzt nur noch drei Finger breit über die Ohren, was zwar immer noch recht lang, aber für einen jungen Burschen nicht ungewöhnlich war. Beim Anblick der Schere in ihrer Hand fiel ihr
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